Neuntes
byzantinischen Geistes in Anspruch nimmt (II 50). Es handelt sich da spe-
ciell um die Miniaturen des kostbarsten Denkmals dieser Periode, des dem
10. Jahrhundert zugeschriebenen Psalters der Nationalbibliothek zu
Paris (Gr. Nr. 139). Von den vierzehn grossen Bildern dieser Handschrift
stellt das erste (welches auch in anderen Handschriften copirt ist: Barberin.
202; Vatican. Palat. 381) David als Hirten dar, wie er, mitten in einer elas-
sischen Landschaft sitzend, die Leier schlägt. Neben ihm sitzt die allego-
rische Gestalt der ,Melodia'. Im rechten Vordergrund ruht ein den Berg
Bethlehem darstellender halbnaekter ,Halbgott'; im Hintergrund sieht man
eine Landschaft mit der Stadt Bethlehem, und eine Säule, hinter welcher ,das
Echo" hervorguckt. Man hat mit Recht gesagt, dass die Composition weit
eher einer Theokritischen Idylle als einem biblischen Gemälde ähnle (Fig. 447).
Noch bedeutender ist in ihrer Art die siebente Miniatur, die Erhöhung Da-
vids. Der königliche Sänger steht, wie ein byzantinischer Kaiser gekleidet,
auf einem Piedestal, zwischen den allegorischen Gestalten der Weisheit und
der Prophetie. Das Arrangement erinnert an die Darstellung auf den Con-
sulardiptychen. Alle Personen tragen einen einfachen Nimbus, auf dem des
Sängers sitzt die Taube (Fig. 341). Ein drittes Gemälde von ausserordent-
licher Schönheit ist das dreizehnte, Isaias zwischen der Allegorie der Nacht
und dem Genius der Morgenröthe (ifloflpog), von welchem sich eine Copie im
Cod. Vatic. 755 findet (Fig. 342). Die Carnation dieser Malereien hat den
braunrothen Ton der alten Miniaturen und der pompejanischen Bilder, nur
die Heiligenköpfe tragen bereits das grünliche Roth und die Leichenblässe
der byzantinischen Malereien.
Sind diese Bilder der Inspiration des 10. Jahrhunderts zu verdanken?
Sind sie Nachbildungen älterer Vorlagen? Kondakoff, welcher das erstere
behauptet, muss zugeben, dass andere Falle directer Nachbildung aus jener
Zeit Vorliegen (II 87). So geht der Job des Katharinenklosters auf den
vaticanischen Virgil und den Oktateuch zurück. Dieselbe Beobachtung haben
wir hinsichtlich der Elfenbeine gemacht. Gerade in dem siebenten Bilde des
Cod. Paris 139, der Erhöhung Davids, glauben wir aber den schlagenden Be-
weis für das wirkliche Verhältniss des Künstlers zu der Antike zu linden (vgl.
oben S. 453). Die beiden allegorischen Gestalten der Sophia und der Prophetia
sind, wie die Nyx und der Orthros des neunzehnten Bildes, das Schönste, Freiesto
und Idealste, was aus der Hand eines byzantinischen Künstlers hervorgegangen
ist. Aber diese Personificationen müssen antiken Vorlagen entlehnt sein. Wären
sie einem völligen innern Eingehen der Zeit und des Künstlers auf die Em-
pfindung der Antike zu verdanken, so müsste dieser Process innerer Aufnahme
des antiken Gedankens und Wollens eine bedeutende künstlerische Indivi-
dualität völlig durchdrungen haben. Alle seine Schöpfungen mussten davon
Zeugniss geben. Das ist aber in dem God. Parisinus durchaus nicht der
Fall. Schon gleich der zwischen den Allegorien der Weisheit und der Pro-
phetie stehende David ist ein Beweis für das Gegentheil. Diese grämliche,
wenig erfreuliche Gestalt ist das genaue Bild ihrer Zeit. Sie ist eigenste
Arbeit des Künstlers des 10. Jahrhunderts; wo er nicht, wie für die Personi-
ücationen, antike Vorbilder hat, zollt er der Gegenwart seinen Tribut.
Verwandt mit dieser Handschrift ist der Psalter im Vatican (Reg.
Christ. Nr. 1) und ein anderer ebendaselbst (Pal. Nr. 381). In die nämliche
Kategorie setzt Kondakoff die Nachbildung des "Cosmas Indice-
pleustes in der Laurentiana und die auf dem Sinai.