Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

Neuntes Buch. 
Kunst selbst in ihrem letzten Blütestadium ist. Sie entwickelt sich nicht der 
altchristlichen gleichwerthig neben gleich intensiven Strömungen in Rom und 
anderen Gebietstheilen, sondern sie saugt wie die antiken so auch die alt- 
christlichen Kräfte aller Gebietstheile auf, nimmt dann eine eigene, völlig 
selbständige Richtung und beherrscht schliesslich alle Orte, in denen die 
altchristliche Kunst einst blühte und noch vegetirt. Ihr Charakter ist ein 
historisch-dogmatischer, der Tag ihrer Geburt die Gründung Constantinopels, 
Welches seit Theodosius die Führung übernimmt und bald ohne Concurrenz 
dasteht. ,Römer, Griechen, Alexandriner, Syrer und Kleinasiaten treten hier, 
angelockt durch die Begünstigungen des grossen Kaisers, zu gemeinsamem 
Wirken zusammen. Sie brachten die geistige Kraft mit, der Boden selbst 
lieferte ihnen die Mittel, dieselbe unabhängig von der Heimat weiter zu ent- 
wiekelnf Dies Mittel erblickt Strzygowski vor allem in den vor den Thoreu 
der Stadt gelegenen uralten Marmorbrüchen der prokonnesischen Insel, deren 
Reichthum seiner Annahme zufolge Constantin bei der Wahl seiner Residenz 
mitbestimmt hätte. 
Diese vorläufig aprioristische Annahme glaubt nun ihr Urheber durch 
das Studium der byzantinischen Denkmäler bestätigen zu können. Er ver- 
weist dafür zunächst auf die Entwicklung des byzantinischen Capitells, dessen 
von dem alten römischen Acanthus mollis abweichenden fetten, zackigen Schnitt 
(den Acanthirs spinosirs) er zuerst an dem sogen. Goldenen Thor in Constanti- 
nopel (von 388) nachweist. Dieses von ihm theodosianisch genannte Capitell 
verdrängt nun seit Theodosius II die altere Form und ündet sich angeblich 
zu Hunderten in allen Küstengebieten des Mittelländischen Meeres. Eine 
weitere Neuerung der byzantinischen Kunst sei seit dem 5. Jahrhundert der 
Kämpferstein, für den das justinianische Zeitalter das vermuthlich von dem 
Erbauer der (Zisterne in der Basilika des lllus (528) erfundene Kämpfercapitell 
einsetzte. Ravenna wird auf diese Weise keinerlei massgebende Rolle zu- 
ertheilt; ,die Entwicklung des Centralbaues spielt sich, wie es scheint (trotz 
S. Stefano Rotondo in Rom und S. Lorenzo in Mailand  ganz im Osten ab, 
WO sich die Uebertragung des centralen Systems auf den Kirchenbau zuerst 
vollzog." In der Plastik soll sich der byzantinische Charakter schon zur Zeit 
Constailtins an den Friesreliefs des Constantinbogens in Rom (also vor Grün- 
dung von Constantinopel?) geltend machen." Den ceremoniösen Ernst der 
byzantinischen Kunst sollen dann im 5. Jahrhundert die Ambone in Salo- 
niki, die Panagia in Chalcis, der griechische Sarkophag mit der Darstellung 
der Verkündigung und Heimsuchung in Ravenna, das africanische ÄRelief- 
fragment mit der Anbetung der Magier und viele andere noch unpublicirte 
Beispiele aufweisen. Die Elfenbeinschnitzerschule zu Ravenna gilt Strzygowski 
für ,so gut wie byzantinischi ,Der in Constantinopel concentrirte ceremoniös- 
dogmatische Charakterzug der byzantinischen Kunst kündigt sich schon kurz 
nach 431 in Rom in den Mosaiken am Triumphbogen von S. Maria Maggiore 
an'; byzantinische Züge trägt bereits der Kalender von 354. 
Die Richtigkeit seiner These will dann Strzygowski aus der Wandlung, 
Welche sich seit dem 5. Jahrhundert angeblich in allen Darstellungsreihen 
der christlichen Ikonographie herausgestellt habe und welche überall die 
Ablösung der altchristlicheil naiv-symbolischen Kunst durch die byzantinische 
historisch-dogmatische zeige, erweisen. Diese letztere aber, so tief sie auch ins 
Mittelalter hineinreiche, gehöre ihrem Wesen nach stets zur christlichen Antike, 
nicht, wie der Islam, zum Mittelalter. Unhaltbar sei daher Springers Schei-
	        
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