Neuntes
Verehrung siegreiche Reaction brachte zwar die alte Tradition wieder zu Ehren,
doch brach sich die neue Geistesrichtung Bahn, welche den Rücktritt des plasti-
schen Elementes bedingte. Eine Wiederbelebung antiker Formen tritt mit der
Herrschaft der macedonischen Dynastie im 9. und 10. Jahrhundert ein. Haupt-
zeugen dieser Renaissance sind die Pariser Handschriften des Psalters und
des Gregor von Nazianz. So sehr indessen Personificationen und Stimmungen
hier an die Antike anklingen, so merkt man diesen Figuren doch bald den
Mangel an Klarheit und fester Bestimmtheit an; die Bewegungen sind unsicher,
der Faltenwurf nur ungefähr richtig. Nicht die Natur, sondern iiache Zeicl1-
nnngen und Gemälde haben hier als Vorbilder gesessen. Wo der Maler
selbständig schafft, lässt er die antiken Traditionen beiseite. Die neue mön-
chische Phantasierichtung bestimmt den Inhalt der Bilder. In der Auffassung
des biblischen Textes unterscheidet sich die byzantinische Kunst von der des
Abendlandes dadurch, dass in letzterer die tcndenzlose Erzählung, in ersterer
eine beziehungsreiche, fast mystische Umdeutung der Worte vorherrscht. Von
einem unrettbaren Verfall, einer völligen Erschöpfung kann man bei all dem
erst seit den Zeiten der Kreuzzüge sprechen, und es schliesst eine grobe
Unwahrheit in sich, wenn man die byzantinische Kunst in dieser ihrer bessern
Zeit als mumienhaft, starr und todt bezeichnet. In vielen Dingen hat sie
im 9.-11. Jahrhundert die abendländische Kunst des Mittelalters überragt,
und das verdankt sie hauptsächlich den länger bewahrten antiken Traditionen
und den trelflichen technischen Recepten, welche namentlich dem Kunst-
handwerk zu gut kamen.
Diese Auffassung wurde im wesentlichen auch von Perate (p. 248).
wickhnfiiJanitschek und Wickhoifl getheilt. Besonders hat Wiekhoff noch kürz-
lich betont, dass, wie Tikkanen an den alttestamentlichen Bildern in der Vor-
halle der S. Marcuskirche zu Venedig erwiesen hat, ,die vorzüglichste Bilder-
reihe, die uns das byzantinische Mittelalter hinterlassen hat, bis auf alle
Kleinigkeiten auf Vorbilder aus dem 5. Jahrhundert (und zwar lateinische)
zurückgehe', dass demnach die Annahme sich nahelegt, dass die uns neu
erscheinenden Compositionen der byzantinischen Kunst nichts anderes als eine
Auswahl oder ein Ueberbleibsel seien von der Masse ursprünglicher altcl1rist-
licher Compositionen, die sich in den grossen Städten des Orients, in Ale-
xandrien, Antiochien und endlich in Byzanz, im 4. und 5. Jahrhundert ge-
bildet hatten. ,Was die byzantinische Kunst reicher machte als die gleich-
zeitige romanische, wäre also nicht eine lebendigere Erfindungskraft, sondern
die günstige geographische Lage, die sie zur treuen Hüterin der alten Er-
findungen bestellt hattef
Strzy- Ganz andere, ja direct entgegengesetzte Wege gehen die neuesten Unter-
wäzlkf suchungen über die byzantinische Kunst, welche wir der Energie und Hingebung
Tllßvriß-cines jüngern Forschers, Joseph Strzygowskfs, verdanken.
Das früher und bis vor wenigen Jahren allgemein getheilte Urteil über
Werth und Entwicklungsgang der byzantinischen Litteratur hat in den letzten
Jahren eine wesentliche Modification erfahren. Man hatte durch Pitra u. A.
den bisher gänzlich unbekannten ,Pindar der rhythmischen Poesieß Romanos
den Meloden, den grössten Dichter der Byzantiner, vielleicht den grössten
Kirchendichter aller Zeiten, kennen gelernt. Die griechische Hymnenpoesie
1 JANITSCHEK in SPRINGERS Festgruss
17 (betr. Bilderstreit) und im Bvepert. für
Kunstwissenschaft XI 188. WIGKHOFI
Repert. für Kunstwissenschaft XVU 10.
im
17.