Sechste;
Funk;
altchristlich-römischen Uebung naher einzugehen. Hier handelt es sich nur
mehr darum, das Facit der bisherigen Betrachtung zu ziehen, um damit den
Uebergang zum Mittelalter zu gewinnen. Es erscheint zunächst angezeigt,
das Wesentliche aus dem bisher Beigebrachten in nebenstehender Uebersichts-
tabelle zusammenzustellen.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich erstens, dass wir es nicht mit
einer, sondern mit mehreren, nebeneinander bestehenden und ihren
Einfluss geltend machenden figurirten Bibeln zu thun haben, und
zwar: a) einer römischen (Mitte des 4. Jahrhunderts); b) einer griechisch-
alexandrinischen, schliesslich byzantinisirenden (4. Jahrhundert);
c) einer syrischen (6. Jahrhundert); dazu kommt d) im Anschluss an die
römische eine barbarische (Ashburnham, 7. Jahrhundert).
Neben diesen die ganze Heilige Schrift oder einzelne Bücher umfassenden,
immer nur in Fragmenten oder einzelnen Theilen uns erhaltenen Bilderbibelnl
gab es, Wenigstens seit Ende des 4. Jahrhunderts, Einzelbildtafeln (in
Elfenbein oder Holz geschnitzt oder aufPergament gemalt) und ge-
malte C ykl e n (W a n d g em a1 d e und M 0 s aiken), welche den Parallelis-
mus des Alten und Neuen Testamentes die Concordia Veteris et
Novi Testamenti zur Vorstellung brachten.
Drittens bildete sich seit der Einführung der Lectio propria (Mitte des
5. Jahrhunderts) die an die Perikopen des Evangeliars und des Lec-
tionars bezw. an das Verzeichniss derselben im ,C0mes' sich an-
schliessen de ausgewählte Illustration, welche sich sowol in der
Buch- als der Wandmalerei bewahrte. Wir haben es W0l dem völligen Unter-
gang der vor das 8. , bezw. 10. Jahrhundert fallenden römisch-kirchlichen
Büchersammlungen zu verdanken, wenn uns von dem Grundstock dieser neuen
Richtung der Illustration keine Zeugen erhalten sind 2. Von ihr gingen aber,
wie wir seiner Zeit sehen werden, die wichtigsten Vertreter der Buchmalerei im
karolingiseh-ottonischen Zeitalter aus (Ood. Egberti, die Evangeliarien von
Gotha, Bremen, der Cod. Aureus des Escurial u. s. und mit ihr hängt
auch die monumentale Malerei desselben Zeitalters (Reichenau) zusammen,
für welche wir auch, wie für die Buchmalerei im 9.-10. Jahrhundert, zu-
sammenstcllende Indiculi in den Tituli der Zeit finden. Es ergibt sich daraus
die weitere Uebersichtstabelle S. 476, bei welcher die Numerirung der Bilder-
bibeln sich auf unsere erste Tabelle bezieht. Wir machen hier mit dem
7. Jahrhundert den Schluss. Es ist der Zeitpunkt, wo nach Gregor d. Gr.
Rom und Italien den raschen Zusammensturz der letzten Reste antiker Bil-
dung und antiken Kunstvermögens erleben, ein Factum, das nicht bloss
durch die offenkundige, die drei folgenden Jahrhunderte beherrschende Ohn-
macht in Hinsicht der künstlerischen Production, sondern auch durch den
jammervollen Bankrott der litterarischen Cultur bezeugt und bestätigt Wird.
1 Für eine solche die vier Evangelien be-
greifende Bilderbibel gibt die Handschrift 48
der Bibliothek von S. Gallen einen griechisch-
lateinischen Index der Sujets, welchen RETTIG
(Antiquissimus quatuor evangeliorum canon.
Codex Sangall. graeru-latin. Turici 1836)
herausgegeben und kürzlich wieder S. BERGER
(De 1a tradition de Yart gree dans les manuscr.
latins des Evangiles [Extlz des ,Mem. de 1a
S00. Nat. des Antiquaires de Franco" t. LII.
Paris 1893]) besprochen hat. Wir kommen
auf dieses Actenstück später zurück.
2 Sämmtliehe Bücherschätze der römischen
Kirchen, insbesondere auch des Laterans und
des Vaticans, welche älter waren als das 8., und
fast alle, welche älter waren als das 10. J ahrh.,
sind im Laufe der Zeit zu Grunde gegangen
(mit Ausnahme des Cod. Aniiatinus; s. oben),
wie das DE ROSSI in seiner S. 470, Anm. 1
erwähnten Commentatio nachgewiesen hat.