Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

Sechgifgsjifßuch. 
alter dem hl. Hieronymus zugeschrieben wurde, thatsachlich aber erst 4711 
unter dem Namen ,Comes' erwähnt wird. Wäre die Nachricht authentisch, 
dass Hieronymus auf Geheiss des Papstes Damasus den ,Comes' redigirt habe, so 
fiele die Entstehung desselben noch ins 4. Jahrhundert und ginge er der 
gallicanischen Ordnung voraus. Jedenfalls bestand sie langst vor Gregor d. G12, 
dessen Homilien genau an die ,XL lectiones evangelif anknüpfen, die sich 
aber auch schon meistens bei Leo d. Gr. aufweisen lassen. Karl d. Gr. suchte 
die gallicanische Liturgie durch die römische zu verdrängen und beauftragte 
Alcuin mit einer Revision des ,Comes', während Paul Warnefried zu den evan- 
gelischen Perikopen eine Sammlung von Vaterhomilien redigiren musste. Die 
Evangelienordnung des Letztern liegt auch heute noch dem trierischen und 
kölnischen Brevier zu Grunde; im römischen hat eine gewisse Verschiebung 
stattgefunden 2. 
Es liegt auf der Hand, dass die Illustration der Heiligen Schrift durch 
diese Verhältnisse in der Einrichtung der Lesungen wesentlich bedingt und 
beeinflusst werden musste, und dass man der Filiation der Bilderhandschriften 
nicht nachgehen, die Iteconstruction der ältesten Bilderbibel nicht versuchen 
kann, ohne jenen Verhältnissen Rechnung zu tragen. 
Und da tritt uns eine sehr bemerkenswerthe Thatsache entgegen. Seit 
dem 5. Jahrhundert sehen wir im Abendlande die Illustration sich ganz an 
die Perikopen der Lectio propria anschliessen, und im übrigen ganze Bücher 
nur dann illustrirt werden, wenn dieselben, wie Genesis und Psalmen (wol 
auch noch der ganze Pentateuch), in einer bestimmten Zeit des Kirchenjahrs 
zur vollständigen Verlesung gelangen 3. Bis dahin und darüber hinaus in 
der griechischen Kirche wird man auch die ganze Heilige Schrift illustrirt 
haben. Kein Exemplar dieser Art ist uns erhalten; aber die Betrachtung 
des uns erhaltenen Materials wird einen annähernden Schluss auf den Cha- 
rakter dieser ältesten Illustration, wenn auch keine vollständige Reconstruc- 
tion ihres Inhaltes, gestatten. 
1 In einem Vermächtniss des Theodoricus 
für die Kirche zu Oornutum (MABILLON De 
re dip]. V1 462). 
2 Vgl. MOSLER in Real-Encykl. I 312; 
II 293. ScnU Die biblischen Lesungen. 
Trier 1861. RHEINWALDT Archäologie S. 442 f. 
RANKE Daskirchl. Perikopensystem, Berl. 1847. 
ät. BEISSEL Zur Geschichte der evangeli- 
schen Perikopen u. s. f. (Zeitschrift für ka- 
tholische Theologie 1889, S. 661).  Der 
,Oomes' ist herausgegeben unter a-nderm in 
TOMMASI Opp. V 429. Aus dem ,Comes' ent- 
nommene Evangelienverzeichnisse sind: das 
Cal. Rom, ed. Fnonro, Par. 1652; dasjenige bei 
MARTENE et DURAND Thes. nov. anecd. V 
63; das aus dem Codex Egherti von MAR- 
TINI in Trier herausgegebene (vgl. unten be- 
treifs Codex Egberti) ; das Capitulare evang. 
bei GERBLERTA Lit. alam. I 417.  Schu und 
Rheinwaldt, neuerdings Beissel haben diese 
Documente verglichen. 
3 Der besondere Vorzug, dessen sich das 
Psalterium in der Illustration der ganzen 
christlichen Kunst erfreute, ging selbstver- 
standlioh aus dem Umstand hervor, dass es 
den Hauptinhalt des täglichen Ofiieium di- 
vinum bildete. Die Genesis wurde, wie 
schon bemerkt, in der Fastenzeit gelesen und 
war darum schon seit dem 4. Jahrhundert 
der Gegenstand vielfacher Commontirung. 
Es sei hier nur an des BASILIUS Mncnus 
IX Homiliae in Hexaemeron, an Gnncons von 
Nyssa Apol. in Hexaem., an Cnnysosr. 
Serm. IX in Genes, AMBR. In Hexaänn, AUG. 
De Genes. ad litteram u. Quaest. in Penta- 
teuch., des Dichters DRACONTIUS Hexaömeron, 
IUvnNoUs Liber in Genesin erinnert. Besonders 
möchte ich hier aber noch auf das bisher ganz 
unbeachtete Gedicht ,Metrum in Genesin 
ad Leonem Papam" aufmerksam machen, 
welches den Schriften des hl. HILARIUS (Opp., 
ed. Ven. 1750, II 549) beigegeben ist. Offenbar 
ein Werk des 5. Jahrhunderts, in schlechter 
Latinität, aber hochinteressant deshalb, weil 
es die für die damalige Leserwelt anziehend- 
sten Scenen aus dem ersten Buch Mosis heraus- 
hebt und sich fast wie ein Commentar zu den 
Illustrationen der Wiener Genesis liest.
	        
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