Sechstes Buch.
nur auf Griechenland zurückführen zu müssen glaubt und in ihnen eine Re-
miniscenz der dortigen Anfänge christlicher Kunstpiiege sehen will. Ich ünde
in diesen Typen keinen wesentlichen Unterschied von den hergebrachten Typen
unserer römischen Coemeterialbilder und Sarkophagreliefs. Und wenn Richter
Weiter meint, auch die Gewandung sei nicht national-italienischen Ursprungs,
so ist doch auf den Wechsel der Mode hinzuweisen, der in der kaiserlichen
Zeit eingetreten war. Es entspricht aber dem allgemeinen Zug der Zeit,
wenn jetzt, wie wir das auch schon auf der barberinischen Terracotta be-
merkt haben (s. oben S. 203), die Insignien des Imperators auf die Gestalt
Christi übertragen werden.
In diesen Bildern tritt uns noch mancherlei der Beobachtung Werthes
entgegen. Es kann nicht übersehen werden, dass dieselben sich keineswegs
treu an den gegebenen Text des Evangeliums halten, sondern dass auch hier mit
jener Freiheit verfahren wird, die wir bereits anderwärts (S. 68) als eine
Eigenthümlichkeit der altchristlichen Künstler kennen gelernt haben. Dazu
gehört auch der uns hier allenthalben entgegentretende Zug, dass der Herr
stets von einer andern Person begleitet ist. Richter sieht in ihm den Ver-
mittler zwischen der Darstellung und dem Beschauer, gcwissermassen den in
das Bild eingestiegenen Exegeten der biblischen Geschichte, und erinnert
dabei an die Conversationsbilder der Renaissance, wo die zur Seite der Ma-
donna stehenden Heiligen eine ähnliche Function üben sollen. Man wird
richtiger gehen, wenn man sich erinnert, dass nach der Auffassung des kirch-
lichen Alterthums die hohen Standespersonen niemals allein erscheinen. Der
Bischof geht, wohnt und schläft nicht ohne seinen Begleiter. Dass der Herr
ohne einen solchen erscheine, mochte unpassend gefunden werden, und so
gibt man ihm einen Ped-issegu-zls bei, der zugleich als Vertreter der übrigen
Jüngerschaft zu erachten ist. Dass an die Stelle des bewegten Linienflusses
der Katakombenbilder hier, wie Richter findet, bereits ein mehr gebundenes
Verfahren in statuarischer Feierlichkeit tritt, erklärt sich sehr einfach aus
der Abhängigkeit dieser Schilderung der Wunder von den Sarkophagen des
4. Jahrhunderts und aus der allgemeinen Tendenz der Zeit. Die These, dass
von ,einem Anschluss an die nachconstantinische römische Kunst gar nicht
die Rede sein kann, während andererseits ein verwandtschaftlicher Zusammen-
hang mit den frühern Malereien in mittel- und unteritalienischen Katakomben
mit voller Bestimmtheit behauptet werden müsse", ist dagegen rein gratuit
und auch von Richter mit nichts belegt. Ihre Unwahrscheinlichkeit springt
in die Augen, wenn man sich erinnert, dass laut Cassiodor Theoderich d. Gr.
sich gerade zur Zeit der Erbauung dieser Kirche (um 507) Marmorarii aus
Rom kommen liess, die zwar auch für andere Zwecke in Anspruch genommen
wurden, durch deren Berufung aber doch wol der enge Zusammenhang dieser
Arbeiten mit römischen Vorbildern erwiesen ist (Var. I 6).
Die dreizehn Bilder der Südseite, welche vorwaltend das Leiden und
den Ausgang des irdischen Lebens des Herrn schildern, stehen ebenso
unleugbar stilistisch im Zusammenhang mit der die Wunder Christi illustri-
renden ersten Serie, Wie sie andererseits sich in mehr als einem Punkte von
ihnen unterscheiden. Vor allem erscheint der Typus Christi verändert. In
den Wunderscenen herrschte ausschliesslich der jugendlich-bartlose Typus;
hier ist der Herr älter, bärtig, durch seinen Wuchs über die anderen Per-
sonen hervorragend, gcwissermassen individualisirter, während die Gesichts-
typen der übrigen Personen noch, wie auch Richter zugibt, an die Antike