Sechstes Buch.
Auffassung ruft geradezu den Eindruck einer visionären Erscheinung hervor,
ohne dass dabei dem Charakter einer idyllischen Scene Abbruch geschehen
wärei In der entgegengesetzten Altarnische steht neben einem Bücherschrank
mit den inschriftlich als solchen bezeichneten vier Evangelien ein eiserner
Rost, unter welchem Feueriiammen aus den Holzscheiten auflodern. Rechts
davon sieht man einen Mann mit aufgeschlagenem Buch und goldenem Trag-
kreuz auf der Schulter diesem Roste zusclireiten offenbar der hl. Laurentius,
wie, seltsam genug, Richter erst gegen die früheren Erklärer feststellen
musste. Er ist ebenso in S. Lorenzo fuori le mura bei Rom dargestellt (580).
Man beachte den feinen Zug, dass hier noch nicht das unkünstlerische Moment
der Marterung, sondern nur die entschlossene Hingabe an dasselbe geschildert
wird. Dieser Darstellung waren, wie wir gesehen haben, wol schon andere
mit ausgesprochenem Realismus vorangegangen (S. 198). Es ist schon des-
halb, aber auch aus andern Rücksichten zurückzuweisen, was J. P. Richter am
Schlusse seiner Betrachtung über diese Mosaiken sagt: ,Die Zusammenstellung
dieser beiden Bilder ist das solenne Wahrzeichen eines Umschwungs in der
Ikonographie, Welcher den Entwicklungsgang von Jahrhunderten entscheidet.
In dem Bild des guten Hirten erreicht die hieratische Kunst der Sinnbilder
und der Gedankenmalerei nach mehr als dreihundertjahrigei" Herrschaft ihren
Abschluss; in dem Bilde des römischen Martyrers dagegen macht die reale
Auffassung der Heiligengeschichte den ersten sichern Schritt auf dem Gebiete
künstlerischer Vorstellungf Schon die dem Kritiker nicht unbekannten Bilder,
welche Prudentius (Peristeph. XI 9-14. 125 sq.) beschreibt, hätten ihn ab-
halten müssen, einen in solcher Fassung unhaltbaren Satz auszusprechen.
Der Gothenkönig Theoderich brachte bekanntlich den Arianismus nach
Ravenna. Es ist anzunehmen, dass unter seiner Regierung eine Reihe von
Denkmälern entstand, welche eine spätere Zeit wieder der orthodoxen Kirche
zurückgewann und deren ketzerischen Ursprung man gerne zu verdecken
Bavusie- suchte. Das gilt gleich von dem arianischen Baptisterium, das später
S. Maria in Cosmedin genannt wurde und dessen Mosaiken mit ihren Apostel-
bildern und ihrer Taufe Christi kaum etwas anderes als eine ungeschiokte
Reproduction der Incrustation der orthodoxen Taufkirche darstellen1. Richter
betont das Vorkommen der Etimasia in dem arianischen Werke, d. h. jener
auf Psalm 98 zurückweisenden Darstellung des leeren, ein purpurfarbenes
Kissen tragenden, von einem Kreuz überragten Thrones Gottes (57 äroznaaia m5
üpöuou). Aber dieses Motiv erscheint auch schon ebenso in dem orthodoxen
Baptisterium, und wenn es der byzantinischen Kunst besonders geläuüg war,
eignet es ihr doch keineswegs allein 2. Man kann damit nicht beweisen, was
derselbe Gelehrte S. 37 behauptet: die Ikonographie der Gothen in Ravenna
sei wesentlich byzantinisch. Sie ist das so wenig, dass sie, aller byzantini-
schen Uebung entgegen, dem hl. Petrus in den Apostelbildern ihres Baptiste-
1 GARRUCCI tav. 241.
2 Vgl. oben S. 202 u. Real-Encykl. I 432.
PAUL DURAND Etude sur Petimacia, Symbole
du jugement dernier dans Piconographie grec-
que chretienne. Chartres 1867. DE ROSSI Bull.
1872, p. 123 sg. Ich leite den Ursprung
der Etimasia von der Uebung her, die hei-
ligen Bücher in der Basilika auf der Kathe-
dra des Bischofs aufzubewahren, wie solche
Sitte ausgiebig durch Optatus bezeugt ist
(z. B. in den ,Acta. purg. Felicisß bei OPTAT.,
ed. ZIWSA p. 202: Jnvenies in cathedra libros
et super lapide codices'). Denselben Gedanken
spricht die weitere Sitte aus, den Thron mit
dem Evangelium angesichts der versammelten
Väter bei Concilsverhandlungen aufzustellen
(vgl. Belege Real-Encykl. I 432). Jene erste
Uebung würde auf Africa als Heimat des
Gedankens hinweisen, welchen die Etimasia
ausspricht.