Sechstes Buch.
ravennatischen Ornamente schon eine Uebergangsstufe zu der mehr con-
ventionellen Behandlungsweise bilden, die sich nochmals in der goldenen
Concha von S. Clemente zu Rom zeigtf
Mausoleum Das Grabmal der Galla Placidia ist als Bauwerk von keiner be-
sondern Bedeutung. Der Grundriss bildet ein lateinisches Kreuz, dessen vier
Schenkel, mit Tonnengewölben überspannt, in dem Durchschnittspunkte eine
Kuppel von überhöhter Rundform tragen. ,Das Innere ist bei völligem Mangel
an architektonischer Ziergliederung von unvergleichlicher Wirkung. Hier
herrscht nicht die bunte Heiterkeit von S. Giovanni in Fonte, vielmehr er-
höht die schwache Beleuchtung und eine gedämpfte Harmonie der Farben
den Eindruck feierlichen Ernstes, der dem Charakter eines Grabmals ent-
spricht. Aber wenn ein Dunststrahl von oben herunterdringt und die weissen
Gestalten auf ihrem satten Grunde hell beleuchtet, während unten noch Altar
und Sarkophage in ein tiefes Halbdunkel gehüllt sind, so ist der Anblick einer
der ergreifendsten, den die Monumentalwelt Italiens aufweistf Der Eindruck
dieser stillen Stätte, den Rahn in diesen Worten so vortrefflich zeichnet, wäre
noch köstlicher, wenn sie ganz in ihrem ursprünglichen Zustande erhalten
geblieben und die frühere Incrustirung der unteren Wände nicht durch eine
moderne Tünche ersetzt wäre 1. Die Ornamentirung der Gurten besteht aus
Blumen- und Fruchtgewinden, die zu Vasen emporsteigen, dazu kommen
Weinranken und-Mäanderwindungen vor, ein Motiv, welches allerdings vor-
zugsweise auf den Orient hinweist und der byzantinischen Kunst geläufig ist,
aber doch, wenn auch seltener, auf römischen Denkmälern gleichfalls nachweis-
bar ist 2. Die incrustirten Flächen haben blauen Grund, der in der Kuppel von
Sternen, in den Tonnengewölben von goldenen Rosetten übersät ist. An dem
Sternenhimmel der Kuppel nimmt ein goldenes Kreuz mit etwas verlängertem
Verticalbalken die Mitte ein diese Gestalt des Kreuzes wird, im Gegensatz
zu dem in Rom lange bevorzugten gleichschenkligen Kreuze, jetzt in Ravenna
typisch 3. In den Ecken des Gewölbes stehen die vier evangelistischen Zeichen,
wie schon in S. Pudenziana. In den Lünetten unter der Kuppel sieht man
zwei Apostel auf grünem Wiesengrunde, zwischen ihnen das Vas inunortali-
tatis, auf dessen Rand ein Taubenpaar sitzt. An den Ausladungen der
Querarme zeigen zwei andere Lünetten die an der Quelle des Heils sich
labenden Hirsche inmitten eines trefflich behandelten goldenen Laubwerkes,
welches sofort an dasjenige im Eingang des lateranischen Baptisteriums ge-
mahnt. Inmitten dieses Laubwerks steht, auf dunkelblauem Grund und um-
zogen von einem Lorbeerkranz, das Monogramm Axel Wichtiger aber sind
die beiden Lünetten über dem Eingang und am Altar. Jene enthält eine
der merkwürdigsten und anziehendsten Schöpfungen altchristlicher Kunst.
Hinter einem von sechs Lämmern beweideten Wiesengrunde erhebt sich eine
von Coniferen bewachsene Hügellandschaft, in deren Vordergrund auf einer
lWelchen Eindruck ein derartig voll-
ständig incrustirtel" Raum auf den Beschauer
macht, zeigt heute am besten die nach de
Rossfs Angaben und in freier Nachahmung
des Mausoleums der Galla Placidia mit M0-
saiken geschmückte, überaus reiche und ge-
schmackvolle Grabkapelle Papst Pius' IX in
S- Lorenzo fuori le mura in Rom.
9 So z. B. in dem Tempio del Dio Redi-
0010, einem kleinen Baeksteinbau bei Rom
links von der alten Via Appia.
3 Unrichtig ist dagegen, was J. P. RICHTER
(Die Mosaiken in Ravenna S. 25) meint, die
,Aussohweifung der Ecken' (das heisst, was
man ,Aus1adung' nennt) bei dem Kreuz sei
nur den Monumenten des Orients eigen.