Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

Einleitugä 
geschichte gelangten genialen Kritiker zu der Beobachtung geführt, dass die 
Eigenart jedes Künstlers sich in der Bildung bestimmter Gliedmassen, vorab 
des Ohres, der Hand u. s. f., am sichersten zeige. Morelli gründete darauf 
seine berühmte Experimentalmethode, in welcher er die mögliche Vereinigung 
der strengen Methoden exacter Wissenschaften mit denjenigen der philosophi- 
schen und historischen Studien zu erblicken glaubte. So beifallig, ja begeistert 
diese Kennzeichenlehre in breiten Kreisen aufgenommen wurde, so erkannten 
die berufensten Beurteiler doch ziemlich einstimmig, wie stark dieselbe wieder 
subjective Willkür an die Stelle der eine sichere urkundliche Grundlage for- 
dernden historischen Richtung zu setzen geeignet war, und wie gefährlich sie 
unter den Händen weniger geistvoller Nachbeter des Meisters werden musste 1, 
 eines Meisters, dem ja grosse persönliche Eigenschaften innewohnten und 
dem man u. a. das Hauptverdienst nicht abstreiten kann, im Gegensatz zu 
der oft übertriebenen ,Beeinflussungstl1eorie' auf die örtlich bedingten Sonder- 
züge der Einzelnen wie ganzer Schulen aufmerksam gemacht, gewissermassen 
zuerst die eigenthümliche Mundart der einzelnen Landschaften in der bilden- 
den Kunst aufgewiesen zu haben. Morellfs Einfluss, so gross er war, konnte 
gleiehwol die historische Richtung auch unter den Italienern nicht aus ihrer 
richtigen Bahn bringen; dafür zeugen die Arbeiten Cattaneois, Baldoriafs 
Velltllriis, RiÖOlfVS, Boito's und vieler Andern, denen jetzt das Ar- 
chivio storico dell' arte" als Organ ihrer Thätigkeit dient. i 
D16 ülmgell Nationen Europas haben an der Ausbildung der neuesten Frankreich. 
kunstgeschichtlichen Litteratur und Methode keinen in gleichem Masse führen- 
den Antheil genommen. Am ergiebigsten ist jedenfalls die Bethatigung Frank- 
reichs, wo die Rumohrschen Principien zuerst durch Rio bekannt wurden und 
seither, unterstützt durch die bedeutenden Leistungen der französischen Kritik 
(Ste-Beuve, Tainez u. s.  sich eine rege, vielfach glänzende Thätig- 
keit entwickelt hat, als deren Haupttrager seiner Zeit Blan c und die gelehrten 
Architekten Viollet-le-Duc und Choisy, gegenwärtig Eug. Müntz 3, 
de Lasteyrie, Courajod, Molinier, Gonse, als deren Hauptorgane 
ausser der ,Revue archeologique" die ,Gazette des beaux-arts und das ,Journal 
de Part" zu nennen sind. 
England hatte bereits im vorigen Jahrhundert in der Gesellschaft der ,Dilet- England- 
tanti' (seit 1734) und in derjenigen der ,Antiquariest (seit 177 0-1876) archäo- 
logische Vereine, welche auch den kunsthistorischen Bestrebungen Mittelpunkt 
und Anhalt boten. Auch im 19. Jahrhundert ist das antiquarische Interesse bei 
den Engländern über das allgemein kunstgeschichtliche vorherrschend geblieben. 
Letzteres hat seine Vertreter in Eastlake, Westwood,(1rowe,Ruskins. 
1 LERMOLIEFF Die Werke d. ital. Meister 
in den Galerien von München, Dresden und 
Berlin. Lpz. 1880; Kunstkrit. Studien über 
ital. Malerei. I. Die Gal. Borghese u. Doria 
Panfili. Lpz. 1890. II. (herausgeg. v. G. FRIZ- 
20m) Die Gal. zu Berlin. Lpz. 1893; Gal. 
Roms, in d. ,Zeitschr. f. bild. Künste IX, 1; 
X, 97; Le opere dei maestri ital. nelle gall. 
di Monaco, Dresda e Berlino. Berl. 1886.  
Völlig zustimmend verhalten sich u. a-I 
J. P. RICHTER in s. Nekrolog Morellfs (Allg. 
Zeitg. 1891, 6. April, Beil.), FRIZZONI, 
F. v. SCHLOSSER (Allg. Zeitg. 1892, Nr. 219, 
Beil). Man vgl. dagegen die Beurteilungen 
Bomäs (Deutsche Litteraturzeitg. 1886, Nr. 42), 
W. v. SEIDLITZ, (Repert. f. Kunstwissensch. 
XIII. 114), Koormnuns (Preuss. Jahrb. LXV 
[1890], 467) und JANITSCHEKS (Litter. Cen- 
tralbl. 1891, Nr. 171). 
2 TAINE selbst ist an unserm Gegenstande 
hauptsächlich nur durch seine ästhetischen 
Untersuchungen und durch seinen ,V0yage 
cn Ita1ie' (2 vols.) betheiligt. 
3 E. MÜNTZ Raphael. 25 ea. Par. 1886; 
Hist. de Part pendant 1a. Renaissance. 3 vols. 
Par. 1889-1895, u. v. a.
	        
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