Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

712ie Bildercyklen 
vierten, 
fünften 
sechsten 
Jahrhunderts. 
Der Charakter, den die römische Mosaikmalerei von da ab annimmt, er- 
scheint durch die allgemeine Lage der Christenheit wesentlich bedingt: im 
4. Jahrhundert herrschte die Feier des Triumphes Christi vor, im 5. Jahr- 
hundert sehen wir in den grossen Bildercyklen die didaktische Richtung des 
dogmengeschichtlichen Zeitalters vorwiegen. 
Wer kann sich heute eine Vorstellung machen von dem Jubel, den die 
gesammte Christenheit nach dem Ablauf der Verfolgung und dem endgiltigen 
Sieg des christlichen Princips hatte? Der Schrei einer ganzen befreiten Ge- 
meinde tönt aus den Worten, mit denen der Verfasser der Schrift ,De mor- 
tibus persecutorumi seine berühmte Darstellung schliesst: er hat das alles 
geschrieben, um das Gericht Gottes zu verkündigen. ,Dem Herrn', heisst es da, 
,haben wir jetzt zu danken, der die von reissenden Wölfen verheerte Heerde 
gesammelt, die wilden Thiere, die sie von ihrer Weide vertrieben, ausgerottet 
hat. Wo sind jetzt die Scharen unserer Feinde, die Henkersknechte des 
Diocletian und Maximian? Gott hat sie von der Erde vertilgt; feiern wir 
daher seinen Triumph mit Freuden, begehen wir mit Dankgesängen den Sieg 
des Herrn, feiern wir ihn mit Gebeten Tag und Nacht, damit der uns nach 
zehn Jahren der Trübsal wiedergegebene Friede erhalten bleibef Das ist 
das Programm der monumentalen Kunst des 4. Jahrhunderts: Oelebreuzus 
triu-uzphunz Dei cum exultatione; und das Gefühl des sterbenden Tyrannen, der 
das Gericht über sich einbrechen, den Herrn umgeben von weissgekleideten 
Dienern zum Urteilsspruche nahen sieht (Deum videre coepit, cauclidatßis miuistris 
de se iudicazztem), das ist das Thema, das die triumphirende Kirche nicht 
müde wird in den Apsidalbildern ihrer Basiliken den Gläubigen zum Trost, 
den Ungläubigen zum Schrecken entgegenzuhalten. Jetzt hatte man den Be- 
weis für die Wahrheit dessen, was die Apokalypse über den Kampf mit den 
dämonischen Mächten vorausgesagt: der Sieg Dessen, der hier das ,Alpha et 
Omega, primuvs et HOUÄSSÜHUS, principizwrz et [in-als (Apoc. 22, 13) hiess, war nun 
offenbar, und Christus, sei es als Gesetzgeber (Christus dat legem), sei es als 
Spender des Friedens (Christus dat paceuz) aufgefasst, bald auf dem Thron 
sitzend bald auf dem Berge Sion stehend oder auf den Wolken schwebend, 
meist von den Aposteln, vor allem von Petrus und Paulus umgeben, ist der 
Mittelpunkt der musivischen Darstellung. Unter der als Paradies geschilderten 
Region, in welche sich der sieghafte Erlöser erhebt, sieht man die Ausgangs.- 
punkte seiner messianischen Thätigkeit  Jerusalem und Bethlehem, die 
Allegorie der aus dem J uden- und der aus dem Heidenthum geworbenen Kirche 
(Ecclesia ex circuuzcisiovze  Ecclesiu er geiztibus). An die Stelle des guten 
Hirten tritt mehr und mehr das Lamm Gottes. Entweder das bereits für uns hin- 
geopferte Lamm auf dem Throne inmitten der vier Thiere (Offb. 5, 6), hinter ihm 
das Kreuz, rechts und links die sieben Leuchter (Offb. 1, 12), die vier Symbole 
der Evangelisten (der Mensch, der Löwe, der Stier und der Adler; Oifb. 4, 7: 
et auimal primum simile leoui, et secundum animal simile vitulo, et tertium animal 
habeus faciem. quasi komiuis, et guartum animal simile aguilae volauti), die hier- 
mit ihren Einzug in die christliche Ikonographie halten. Auch die vierund- 
zwanzig Aeltesten, welche vor dem Throne, ihre Krone haltend, anbeten (Ofib. 
4, 10), erscheinen auf den an die Apsis anstossenden Wänden. Oder das Lamm 
Gottes steht aufrecht auf dem Berge Sion (Oifb. 14, 1), mit dem Nimbus 89' 
krönt, häufig das Kreuz haltend; aus dem Felsen, der das Agnus Dei tragt, 
entspringen die vier Paradiesesiiüsse, die Symbole der vier Evangelien, denen 
wie die Hirsche des Psalmisten (Ps. 41, 2) nun auch die dürstenden Lämmer,
	        
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