Sechstes
Buch.
Die
Bildercyklen des vierten, fünften und sechsten Jahrhunderts.
Die altohristliche Mosaik- und Buehmalerei.
"WIR haben die Coemeteriahnalerei der ersten drei christlichen Jahrhunderte
seit den Tagen Constantins mehr und mehr hinter der Sarkophag-
sculptur zurücktreten sehen; gegen Ausgang des 4. Jahrhunderts vollzieht sich
eine weitere Veränderung. Es geht ein Wandel in dem Charakter der Kunst
vor, die den symbol-isch-allegorischen Zug mehr und mehr beiseite setzt und
die biblisch-historische Darstellung bevorzugt; und ein weiterer Wandel offen-
bart sich darin, dass die sepulcrale Färbung der Kunst abgestreift wird: die
christliche Kunst entsteigt dem Dunkel der Gräberwelt, sie rückt dem Leben
und den Lebenden naher, und statt sich vorwaltend an der Wohnstätte des
Todes zu entfalten, widmet sie sich jetzt mit Vorliebe dem Schmuck der Ba-
silika, welche, seit der Kirche der Friede geschenkt ist, als letzte grosse
That des römischen Geistes der Erde entsteigt. Der Bilderkreis erweitert sich
11m ein beträchtliches. In grossen Bildercyklen wird die Gesammtentwicklung
des Reiches Gottes auf Erden im Alten wie im Neuen Bunde vorgeführt: zu-
nächst in umfassenden Wandmalereien al fresco, dann in den Schöpfungen
der Mosaikmalerei und endlich in einer der Gemeinde Weniger zugänglichen,
aber der Detaillirung um so günstigern Weise in der Buchmalerei. So hebt
mit dem ausgehenden 4. Jahrhundert eine Kunstthätigkeit und Kunstrichtung
an, Welcher in den dunkeln Jahrhunderten des Zusammenbruchs der antiken
Cultur und des mühsamen, vielfach durchbrochenem Aufbaues einer neuen
Cultur bis tief ins 11. Jahrhundert hinein eine grosse, glänzende Rolle zuiiel.
Mehr als ein halbes Jahrtausend hindurch stellt sich in diesen ,Historieni, welche
der Pinsel unbekannter Maler malt oder die Hand ebenso unbekannter Musai-
cisten aus kleinen Steinchen zusammenfügt, die einzige Leistung künstlerischen
Vermögens, das beste Stück ästhetischer Empfindung der Menschheit dar.
Ein Kirchenlehrer des 8. Jahrhunderts, Johannes Damascenus, behauptet
in seinem Schreiben an den Kaiser Theophilus 1, schon Constantin d. Gr. habe
in den Kirchen die Anbringung von Serien von Scenen aus der heiligen
Geschichte angeordnet (äv mig äxzlrlirriazg (Zuzaropeiizrüaa äuoyoßäriyae), und er
nennt als solche die Geburt des Herrn in Bethlehem, die Anbetung der Hirten,
der drei Weisen, u. s. w., auch die Leidensgeschichte, die Auferstehung und die
Himmelfahrt des Herrn. Die Angabe dieser Themate hat bereits C. Bock
ad Theoph.
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