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schätze in Paris: alle diese Umstände brachten neue, unerhörte Bewegung
in die Kunstwelt und führten Engländer, Franzosen und Deutsche im Verein
mit den Italienern zu immer emsigerer Bearbeitung des Denkmälervorraths
wie zu besserer Ergründung und Reconstruction antiker Technik und Stil-
formen. Während die Franzosen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
sich hauptsächlich den kunsttheoretisclien Untersuchungen, zugewandt (Ch. Bat-
teux, 1713-1780; Denis Diderot, 1713--1784; Et. Falconet, 1715
bis 1791; I-Ienri de Watelet, 1718-1786) und die Cochin (1715-1790)
und J. J. Barthelemy (1716-1795) das Bild des Alterthums anschaulich
zusammenzufassen gesucht hatten, so stellte sich nun in den Tagen der
napoleonischen Herrschaft eine namhafte Erweiterung des Gesichtskreises ein:
man begann auch ein stärkeres wissenschaftliches Interesse an den Schöpfungen
späterer Zeiten, auch der christlichen Denkmäler, zu gewinnen, welche durch
Ant. Louis Millinl (1759-1818) und Quatremere de Quincy (1755
bis 1849), wenn auch immerhin nur nebenher, der Nation zur Kenntniss ge-
bracht wurden 2.
D'Aginc0urt. Millins Reise in den Süden Frankreichs hatte die Aufmerksamkeit zum
erstenmal auf die dort erhaltenen Reste altchristlicher Sculptur gelenkt; weit
wichtiger noch war, für unsern Gegenstand, das Unternehmen eines andern
Franzosen, Seroux d'Agincourt (1730-1814), eines Schülers von Caylus,
welcher den Gedanken erfasst hatte, Winckelmanns Geschichte der alten Kunst
für die Jahrhunderte des Mittelalters bis zum 16. fortzuführen 3. D'Agincourts
,Histoire de Part depuis la decadence jusquia son renouvellemenü stellt in
ihrem Plane einen höchst bedeutsamen Fortschritt in der allgemeinen Kunst-
geschichte und insbesondere der christlichen dar; in der Ausführung blieb sie
freilich weit hinter der Idee zurück; noch war der Mann nicht gekommen,
welcher für die mittlere und neuere Zeit das zu bedeuten im stande war, was
Winckelmann für die classische Archäologie der Kunst gewesen. Dieser Mann
konnte überhaupt erst kommen, nachdem zu Anfang unseres Jahrhunderts eine
Reihe geistiger Bewegungen die Würdigung der mittlern und spätern, der
christlichen Kunst ermöglicht hatten. Das war das Werk jener Ausbildung
und Verfeinerung des historischen Sinnes und jenes Aufschwungs nationaler
Gesinnung, wie sie sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in
seine Zeitgenossen (2 Bde. Lpz. 1866-1872),
und die Bibliographie bei STARK Handb. d.
Arch. d. Kunst I, 198 f.
1M1LL1N Antiquites nationales. 5 vols.
Par. 1790-1798; Introduction a Petude des
monuments antiques. 4parts. Par. 1796-1812;
Voyage dans les departements du midi de 1a
France. ävols. Par. 1807-1811; Voyage en
Savoie, en Piemont. 2 vols. Par. 1816; Voyage
dans le Milanais, a Plaisance, 21 Cremone etc.
Par. 1817; u. a.
2 Von QUATREMERE DE QUINGY kommen
hier in Betracht: Diotionnaire d'architecture.
3 vols. Par. 1788 u. 1825; Hist. de 1a vie et
des ouvrages de Rafael. Paris 1824; Hist. de
1a vie et des ouvrages des plus celebres
architeetes du Xle sieele jusquäi 1a {in du
XVIHe. 2 vols. Par. 1830; Hist. de la vie
et des ouvrages de Michel-Ange. Par. 1835.
3 Snnonx DVAGINCOURT war seit 1778 ganz
nach Italien übergesiedelt, wo ihn Goethe 1787
sah. Die ,Histoire de llart depuis la decadence
jusquä son renouvellement, par les monu-
ments" gelangte im französischen Original erst
Par. 1826, in 6 Bdn., an die Oeffentlichkeit.
Sie ward ins Italienische (Mil. 1824-1825)
und durch F. v. QUAST ins Deutsche über-
setzt (Berl. 1840, bill. Ausg. Frkf. a. M., 0.
Leider sind die Abbildungen d'Aginc0urts
nicht bloss weit entfernt von dem, was die
heutige Reproduction leistet, sie sind auch
vielfach unzuverlässig, und d'Agincourts Fides
selbst ist kürzlich nicht ohne Grund an-
gegriffen worden (vgl. WILPERT D'Agincourts
Katakombengemälde [in Röm. Quartalschr.
f. christl. Alterthumskunde u. s. W. IV, 331 f]
und: ders. Die Katakombengemälde u. ihre
alten Copien [Freih 1891] S. 70 f).