Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

Fünftes Buch. 
aber noch nicht so weit erhärtet, dass jede andere Annahme ausgeschlossen 
wäre. Als solche erscheint die Hypothese, dass der Sonnenstand am Tage 
der Consecration einer Kirche für ihre Ostung massgebend gewesen, wofür 
man sich auf eine Aeusserung des Sidonius Apollinaris berufen kann und 
auf andere mittelalterliche Vorgänge, wie die nordöstliche Orientirung der 
am 12. Juli 1030 durch Kaiser Konrad II gegründeten Klosterkirche von 
Limburg a. d. H. Jedenfalls steht fest, dass die nordische bezw. mittel- 
alterliche Orientirung durchaus verschieden war, bezW. auf anderer Grund- 
lage beruhte als die römische. Denn nach der Messung Nissens liegt die 
Richtung der Hauptmasse der Kirchen Roms, 140 der Zahl nach, zwischen 2350 
und 125 U, d. h. innerhalb des grössten Tagesbogens, den die Sonne am Himmel 
beschreibt; nach Osten, d. h. zwischen dem Aufgang des längsten und des 
kürzesten Tages, ca. 235-303 0, liegen 43, nach Süden, zwischen 3040 und 53 0, 
liegen 45, nach Westen, zwischen 560 und 125 0, deren 52. 
Aber warum wandten die Christen beim Gebet ihr Antlitz nach Osten 
und warum orientirten sie ihre Kirchen?" Wenn Tertullian (Adv. Valentin. 
c. 3) sagt: ,Das Haus unserer Taube (d. i. das Bethaus) ist einfach, hoch 
und offen gelegen und dem Lichte zugekehrt' (ad lucem), so könnte man an- 
nehmen, die Orientirung sei den vorchristlichen Culten einfach entlehnt. Aber 
es waltete offenbar noch ein anderer Gedanke als der an das am Morgen 
im Osten aufgehende Licht vor. Es war die sehnsuchtsvolle Erinnerung an 
das Paradies, die alte Heimat der Menschheit. Niemand hat das schöner 
ausgesprochen als Gregor von Nyssa. ,Wenn Wir', sagt erQ, ,uns nach 
Osten wenden, so geschieht es nicht, um dort Gott zu suchen, der überall 
zugegen ist, sondern weil der Orient unser erstes Vaterland ist; er war unsere 
"Wohnung, als wir im Paradiese lebten, aus dem wir verstossen sind. Denn 
Gott hat das Paradies in Eden, nach Osten zu, gegründet." Dieser Deutung 
ist im wesentlichen auch das Mittelalter treu geblieben, doch verband sich 
hier mit jener Erinnerung an Eden die Vorstellung, dass Christus am Kreuz 
nach Westen blickte, nach Osten zum Himmel fuhr und von dort wieder 
zum Gericht kommen wird. S0 lehren übereinstimmend Honorius von Autun, 
Innocenz III, Durandus und Thomas von Aquino 3. 
Wenn die Orientirung im allgemeinen für die altchristlichen Kirchen 
Regel War, so bestanden doch Abweichungen hinsichtlich der Stellung von 
Altar und Apsis. Letztere lagen in den Basiliken der Stadt Rom ursprünglich 
nach Westen. Der von seinem Thronos an den Altar tretende Bischof schaute 
also mit dem Antlitz nach Osten. Man glaubt, dass in Ravenna und der 
byzantinischen Reichshalfte zuerst die Sitte aufkam, die Apsis mit dem Altar 
an das Ostende zu verlegen, welche Disposition wir in Rom in den Basiliken 
von S. Paolo fuori le mura und S. Pietro in Vincoli sehen, dort angeblich 
durch Galla Placidia, hier durch Eudoxia, die unglückliche Gemahlin des 
Valentinian und Maximus, eingeführt. Der Einfluss Ravennas mag hier zu 
alters 4 I 9; 5 I 11.  Mom-z und AUFSESS 
Anz. für Kunde des deutschen Mittelalters 
III 201.  Zeitschr. f. christl. Arch. u. Kunst 
I 32.  ,Kirchenschmuck' XXV (1869) 19. 
1 TERTULL. Apol. c. 16.  Gunst. Apost. 
II 57. 
2 S. GREG. NYss. Or. de precatione, ed. 
KRABINGER (Landsh. 1840) p. 103.  Vgl. 
S. ATIIANAS. Opp. II (ed. PETAV.) 225.  
IOAN. DAMASG. Orthod. fid. IV 13.  Andere 
Zeugnisse haben DURAND. (Ration. I 3), 
BONA, Gnmsmn (De oruce I 26) gesammelt. 
3 Honon. AUGUST. Gemma animae I 95.  
INNOCENT. I[[ De saero altaris mysterio.  
DURAND. l. c. V 2, n. 57.  Tnom. AQ. 
Sum. theol. 2, 2, q. 84, a. 3.
	        
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