Baukunst.
Altchristliclme
Wir haben zunächst ein Bild der christlichen Basilika zu entwerfen, so
wie sie in ihrer Ausbildung im 4. und 5. Jahrhundert vor uns steht.
Gleich der Basilika des Maxentius steht die christliche Basilika der
Friedenszeit nicht mehr im Oomplex von Privatgebäuden. Sie tritt als das
anerkannte und Allen zugängliche, der Gemeinde gehörige Gotteshaus in
würdiger Weise aus dem Bereich und Umfang profanen Treibens heraus.
Darum liegt sie mit ihren Anbauten auf einem freien Platze und ist mit
einem Umgang (Anzbitus, Hqoißolog) umgeben, der wenigstens in manchen
Fällen mit einer Mauer ("lsjozog) umschlossen war (Eosnß. Hist. eccl. X 4).
Auf diesem freien Platze lag die Kirche in der Richtung von Osten Ostung.
nach Westen. Diese beim Gebet eingehaltene Richtung nach Osten War
bereits den Naturvölkern des Alterthums geläufig. Uralte, auf dem Sonnencultus
beruhende Vorstellungen mögen hier eingewirkt haben 1. Wie der Betende sich
nach Osten, dem aufgehenden Lichte zuwandte, so stellte man auch das dem
Cult geweihte, ja zuweilen auch, wie bei den Pfahlbauten der Schweiz, das pro-
fane Wohnhaus. H. Nissen hat die Anschauung begründet, dass die Orien-
tirung eine wechselnde war und sich bei den römischen Tempeln je nach dem
Sonnenstand an den betreffenden Götterfesten richtete. Diese Anschauung wird
mit der Annahme unterbaut, dass die Theologie der Griechen und Römer
die Götter als Aeusserungen der Weltseele auffasste und sie als solche dem
ursprünglichen Träger und Sinnbild der Weltseele, der Sonne, unterordnete.
Demnach waren die Tempel so gestellt, dass an dem durch den Kalender
bestimmten Feier- oder Geburtstag des Gottes die Strahlen der aufgehenden
Sonne in die Axo des Tempels, damit also auch auf sein Bild fielen. Die in
Italien vorgenommenen Messungen scheinen diese Theorie zu bestätigen, wobei
ja freilich die Thatsache zu berücksichtigen ist, dass die Alten den Sonnen-
aufgang nicht mit völliger Genauigkeit bestimmen konnten und dass die
Compassbestimmungen, auch abgesehen von den Schwankungen der 1nagne-
tischen Declination, nur auf 112-10 genau sind. Nissen hat dann die weitere
Vermuthung aufgestellt, dass in ähnlicher Weise die Orientirung der Kirchen
nach den Natalitien der Martyrer, denen sie geweiht Waren, erfolgte. Er
hat in der That an 211 Kirchen durch Messung nachgewiesen, dass der
Sonnenaufgang an den Natalitien bei ihnen mit der Richtung der Gebäude-
axen zusammeniiel. Die Untersuchung über diesen Gegenstand erscheint
noch nicht abgeschlossen und sie ist durch mancherlei Umstände erschwert.
Einmal dadurch, dass manche Kirchen den ursprünglichen Patron gewechselt
haben, weiter durch den Umbau vieler älterer Anlagen, endlich durch
den schlimmen Zustand des Kalenders und des Hieronymischen Martyrolo-
gillms 2. Nissens These hat viele Wahrscheinlichkeit für sich, sie erscheint
Handbuch der christl. Archäologie. 3 Bde.
Lpz. 1836-1837 ; Beiträge zur christl. Kunst-
geschichte und Liturgik. 2 Bde. Lpz. 1841
bis 1846.
1 H. NISSEN Templuln S. 168 f. ,Rhoin.
Museum für Philologiei Neue Folge. XXVIII
523; XXIX 369; XL 329. 1'111.01. Primi-
hve Culture (Lond. 1871). Deutsche Ausgabe
H 286-299. Vgl. Real-Encykl. II 559.
2 Dasselbe ist uns endlich durch ms Rossfs
und Ducnnsmäs Arbeit (Acta SS. BollancL,
Nov. III) in einem bessern Zustand geboten
worden. Die Orientirung der Kirchen ist
ein (legenstand, welcher noch einer kritischen
Durcharbeitung harrt. Die bisherigen Ar-
beiten über denselben lassen sehr zu wün-
schen übrig; so SARNELLI Antica basilico-
grafia e. 3. ALBERDINGIK-THIJM De hei-
lige Linie. Amsterdam 1858; Lettre sur 1a
ligne sacree ä M. A. Reichensperger. Ibid.
1858. HART Eceles. Records. 9 Cambridge
1846. BLOXAM Principles of goth. E001.
Archit. 3 Lond. 1846. H. OTTE Handbuch
der kirchl. Kunstarch. des deutschen Mittel-