Einleitungl
den Gang der innern Entwicklung. Man hat dann auch eine Folge von sechs
bis sieben Perioden aufgestellt: altchristliche, byzantinische, karo-
lingisch-ottonische, romanische, gothische Kunst, Renaissance
mit Barocco und Rococo, 1 9. Jahrhundert. Aber auch diese Em-
theilung trifft den innern Charakter der Richtungen nur theilweise und unter-
liegt für ganze Zweige des Kunstbetriebs namhaften Schwierigkeiten der
chronologischen Abgrenzung.
Thatsächlich liegt die Scheidung der Geister wie die der
älteren und neueren Kunstrichtung im Ausgang des 1 3. und Be-
gin n d e s 1 4. J ah rh u n d e rt s. Bis dahin war der Betrieb der Kunst mehr
handwerklicher Natur , dem Inhalte nach war sie an überlieferte Typen und
Traditionen , an einen obj ectiv gegebenen Stoff gebunden ; ihr Zweck war
lehrhaft, ihre Mittel zum guten Theil rein symbolisch-allegorisch, sie bewahrte
den Charakter der Erhabenheit , Strenge und erbaulichen Würde. Diesem
ersten Zeitraum gehören die römisch-altchristliche, die byzan-
tinische, die karolingisch-ottonische, die romanische und zum
grossen Theil auch noch die g o t h i s c h e K u n st an.
Mit D a n t e und G i 0 tt o (um 1800) vollzieht sich in Poesie und Malerei
die Entde ckung der Natur der Se ele. Von jetzt an will innerlich
Erlebtes dargestellt werden , der Künstler gebiert das Kunstwerk aus seiner
individuellen Inspiration, der lehrhafte Zweck und damit die fast ausschliess-
liche Verwendung überlieferter Typen und Formen treten allmählich (nicht
gänzlich) zurück (z w ei t e r Z e i t r a u m).
Das 1 5. Jahrhundert (F r ü h r e n ai s s a n c e) geht einen mächtigen Schritt
weiter. Es zieht aus den Prämissen des 14. die Forderung der Lebenswahrheit,
es entdeckt die aussere Natur und die Schönheit des mensch-
lichen Leibes. Der Naturalismus der Niederländer und Floren-
ti n e r ist die höchste Blüte dieser Richtung , welche in Lionardo , Michel-
angelo, Raffael, Dürer ihren Abschluss findet (H o c hr e n ais s an c e), und indem
sie den innern Zusammenhang mit dem Geiste und den religiösen Idealen
des ersten und zweiten Zeitraumes bewahrt , die höchsten Leistungen des
christlichen und modernen Kunstlebens bezeichnet (d ritt e r Z e i t r a u m).
Mit dem Verwalten der dritten Richtung über die altern , mit der vor-
zugsweisen oder ausschliesslichen Betonung der Schönheit irdischer Erschei-
nungswelt und dem Zurücktreten der bisher festgehaltenen Ideale beginnt der
vierte Zeitraum, der Verfall der christlichen und das Verwalten der
profanen Kun st (Giulio Romano, Holbein, Rembrandt). Die Sp ät-
r e n ai s s a n c e und B a r o c c o gliedern sich diesem vierten Zeitraum ein.
Der fünfte Zeitraum zeigt den völligen Zerfall der religiösen
K u n s t , die ausschliessliche H e r r s c h a f t des auch an heiliger Stätte sich
geltend machenden p r o fa n e n P r i n c i p s (17. und 18. Jahrhundert) ; er lauft
in dem Vandalismus der Revolution und der den Ueberlieferungen
der christlichen Jahrhunderte völlig fremden Kunst des Em-
p i r e a u s.
Der s e c h s t e Z e i t r a u m charakterisirt sich durch das Auftreten der
R o m a n t i k in Frankreich wie namentlich in Deutschland ; es vollzieht sich
eine Repristination christlicher Kunst in der S c h ul e d e r N a z a r e n e r (C o r-
n e l i u s, O v e r b e c k): was sie darstellt und will, ist wol individuell, aber
nicht von dem ganzen Geschlechte durchlebt, und es stirbt daher die Schule
bald dahin (19. Jahrhundert).
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