Viertes Buch.
Bayet (Rech. p. 117) hebt hervor, dass die ravennatischen Sculpturwerke
sich in mancher Hinsicht beträchtlich von den römischen unterscheiden, dagegen
mit allem übereinstimmen, was wir von den orientalischen wissen. Er macht
auch darauf aufmerksam, dass der von Cassiodor (Var. III 19) uns über-
lieferte Name eines Künstlers aus der Zeit des Theoderich, Daniel, auf den
Orient hinzudeuten scheint. Neuerdings ist die Abhängigkeit der ravenna-
tischen Plastik von der byzantinischen noch stärker betont worden. Man
wird sich indessen hier vor übereilten Schlüssen zu hüten haben. Die wenigen
Ueberreste byzantinischer und orientalisch-christlicher Seulptur reichen um so
weniger aus, um die bestimmte Annahme eines Abhängigkeits- oder Ver-
wandtsohaftsverhältnisses zu begründen, als die ravennatischen Sarkophage auch
mannigfache Anklänge an andere provinciale Richtungen aufzeigen, bei denen ein
direoter Einfluss von Byzanz oder Syrien ausgeschlossen erscheint. Zudem darf
nicht übersehen werden, dass, wenn der Localoharakter in Ravenna von dem-
jenigen Roms vielfach abweicht (ebenso wie der in Iulia Coneordia, am Rhein,
in Aquitanien, Africa), andererseits die Uebereinstimmungen doch noch immer
vorwaltend sind, so dass kein Grund vorliegt, die ravennatische Sculptur nicht
als einen Zweig der christlich-römischen bezw. abendländischen anzuerkennen.
Koptisehe Ganz anders schien es sich mit einer Richtung zu verhalten, auf welche
sculpturen" erst in der allerneuesten Zeit, und zwar seitens der Aegyptiologen, die
Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Das ist die Kunst der Kopten, d. h. die
Sculpturwerke aus Metall, Stein, Thon oder Holz denn von Malereien
hat sich nur weniges erhalten welche in Aegypten im Umkreis des
monophysitisch-koptischen Bekenntnisses, also hauptsächlich zwischen dem
Concil von Chalcedon (451) und der Occupation des Landes durch die Araber
(640), ja auch über letztere hinaus bis ins 9. Jahrhundert, entstanden sind.
Die früher sehr verächtlich behandelten Denkmäler dieser Zeit sind vor
etlichen Jahren durch Maspero im Museum zu Bulaq aufgestellt und seither
durch Al. Gayet bekannt gemacht worden 1. Der französische Forscher glaubte
in diesen koptischen Sculpturen eine ganz neue, von der hellenistisch-römisehen
Kunst total abgewandte neue Kunst entdeckt zu haben. Ihm schloss sich
bald darauf Georg Ebers an, welcher in dieser angeblich neuen, von der
Antike völlig abgekehrten Kunst eine Wiederbelebung altägyptisch-nationaler
Formen und Symbole zu erkennen glaubte? Es dauerte nicht lange, so
folgte seinen Ausführungen eine Widerlegung, welche an Gründlichkeit nichts
zu wünschen übrig lässta.
Die hier in Rede stehenden Sculpturen sind durchweg Grabstelen, deren
äussere Form die Gestalt einer Aedicula, einenvon zwei Pilastern umfassten
Nische mit muschelgezierter Halbkuppel, oder flachem bezw. spitzem Giebel
hat. Diese Motive sind aber der ravennatischen und rheinischen Kunst
durchaus eigen, namentlich auch die Concha 4, welche Gayet für ein Palmen-
ornament ansieht: gerade so irrthümlieh, wie wenn Ebers den so oft in
Ravenna und anderwärts auftretenden, das Monogramm umgebenden Blätter-
kranz für die geflügelte Sonnenscheibe erklärt Aehnliche Missverständ-
1 AL. GAYET Les monuments coptes du
Musäe de Boulaq. Mäm. publiäs pur les
membres de 1a miss. arch. frang. au Caäre III
(Paris 1889) fasc. 4; La sculpture copte (Gaz.
des beaux-arts 1892, Mai, JuilL, Aoüt).
2 EBERS Sinnbildliches. Die koptische
Kunst, ein neues Gebiet der altchristlichcu
Sculptur, und ihre Symbole. 4". Lpz. 1892.
3 A. RIEGL Koptische Kunst (KRUM-
BACHERS Byzantin. Zeitschrift 1893, S. 114
bis 121).
4 GARRUGGI tav. 322. 336.