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R. Grousset1 hat die Ansicht entwickelt, die christliche Plastik habe
zunächst die in den profanen Ateliers gebotenen rein decorativen Sujets benutzt
und sei erst später zur Verwendung christlich symbolischer Sujets übergegangen,
bei denen sie, im Gegensatz zu der Malerei, längere Zeit stehen geblieben sei,
ehe sie biblische Scenen zu schildern unternahm. Was uns an frühesten
Denkmälern des 2. und 3. Jahrhunderts erhalten ist, scheint nicht geeignet,
den ersten und selbst den zweiten Theil dieser Behauptung zu rechtfertigen.
Gerade auf den erwähnten Sarkophagen treten uns bereits christlich-symbo-
lische und selbst biblische Sujets, wie der gute Hirt, entgegen. Das öftere
Vorkommen des Letztern in Gesellschaft solcher Sujets, welche, wie die Genien,
Eros und Psyche, der profanen Uebung entlehnt waren, scheint allerdings
darauf hinzudeuten, dass die Verwandtschaft des Hirten mit den Pastoral-
scenen der Letztern die Herstellung seines Bildes in den Ateliers erleichterte
und man bei Wahl dieses Sujets Weniger als bei anderen dem Argwohn und
der Verfolgung der Heiden ausgesetzt war. Es wird behauptet, dass dann
Weiter eine Reihe von Sujets der Malerei entlehnt wurde: man sieht nicht
recht ein, weshalb hier von einer ,Entlehnung' gesprochen wird, da derselbe
Geist beide Schwesterkünste gleichzeitig inspirirte. Richtig erscheint dagegen
die Beobachtung, dass bei Darstellung solcher Sujets, welche auch die Malerei
bietet, die Bildhauer doch einen stärkern Anschluss an die profane Sculptur
bewahrten. So wird z. B. die dem Pastor bonus entgegengestellte Orans nicht
mit förmlich kreuzförmig im Gebet ausgestreckten Armen wie auf den Gemälden
dargestellt: einigemalg erhebt sie nur einen Arm, so dass sie an die antike
Pietas erinnert, ein andermal wendet sie, mehr im Profil gesehen, in drama-
tischer Bewegung Antlitz und Hände dem Hirten entgegen 3. In der zweiten
Hälfte des 3. Jahrhunderts soll sich dann, wie Grousset annimmt, die Entwick-
lung des Sujets des Pastor bonus zu förmlichen Pastoralscenen vollzogen haben.
Auch diese Arbeit vollzog sich in engem Anschluss an die Profankunst, und
der Charakter dieser Evolution ist immerhin vorwaltend symbolisch, ohne dass
das malerische und landschaftliche Element zu irgend einer nennenswerthen
Ausbildung gelangt Wäre. Die Kunst der Composition ist meist gering 4.
Bemerkenswerth ist, dass in der Darstellung des Pastor bonus früher als in
der Malerei von dem bartlosen, jugendlichen Typus abgegangen und zu dem
bärtigen, kräftigem und weniger idealen gegriffen wird, wie auch der eigent-
liche Pastor bonus zuweilen durch den gewöhnlichen Hirten der profanen
Pastoralscenen ersetzt wird. Beides dürfte auf die Abhängigkeit von den
Ateliervorbildern zurückzuführen sein. Auch die rein decorative Verwendung
des Pastor bonus ist zu beachten: man findet ihn zwei- oder dreimal auf dem-
selben Denkmal. Zu Anfang des 4. Jahrhunderts stellt sich ein zuweilen
gezwungenes Bedürfniss nach symmetrischer Anordnung heraus; der Einfluss
der profanen Vorbilder verringert sich in demselben Masse, als die Kluft
zwischen der heidnischen und christlichen Welt sich erweitert; man beginnt den
Gyklus symbolischer Vorstellungen allmählich zu verlassen und geht zu biblisch-
1 Etude sur l'histoire des salrcophages
chret. (Bibl. des Ecoles Franqaises d'Athönc-s
et de Rome vol. XLII. Paris 1885).
2 GARRUCCI tav. 358 2 und auf einem Relief
des Giardino Boboli zu Florenz.
3 Ibid. tav. 2961.
4 Zu den reicher ausgeführten und glück-
liehcren Compositionen zählt der der E0010
Franeaise de Rome gehörende Sarkophag,
dessen bildnerischer Schmuck mit seinem
,paysagß chmnpätrc" an die Vision der hl. Per-
petua erinnert. Vgl. 'GROUSSET l. e. p. 25,
und ,Me1anges de l'Eeole Franqaisd 1883,
p. 273, pl. 3.