Volltext: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen, die byzantinische Kunst, Anfänge der Kunst bei den Völkern des Nordens (Bd. 1)

Drittes Buch. 
legte. Den Wortsinn, welchen im 2. und 3. Jahrhundert innerhalb der kirch- 
lichen Exegese fast nur die Recognitionen und Tertullizm betonen, hat nun 
auch der Stifter der alexandrinischen Katechetenschule, Clemens, nicht 
principiell abgelehnt. Doch sieht er nur in der allegorischen Erklärung den 
Weg zu wahrer Erkenntniss: denn alle Schrift gilt ihm als ein Gleichniss 
gesagt (rräaa rpagpäy (bg äu rrapaßolfy eäpwiäwy) 1. Clemens unterscheidet also 
einen buchstablichen (ä npbg w) ypdiquz diwfyucuaeg) und einen höhern Sinn der 
Schrift (äzdrrrufcg ä yuwanx-ä) 2; dieser doppelte Sinn zieht sich durch die ganze 
Schrifts und ist dreierlei Art: symbolisch, moralisch und prophetischä In 
die Fussstapfen seines Lehrers trat der grosse Begründer der speculativon 
Theologie, Origenes, Welcher den tiefsinnigen Satz vertritt, dass sich alles 
Erkennen des Ewigen nur durch Symbole vermittle; der platonischen Tricho- 
tomie folgend, unterscheidet er einen historischen (buchstablichen), moralischen 
und mystischen Sinn, womit Körper, Seele und Geist der heiligen Schriften 
getroffen werden 5. Von da ab ist diese Unterscheidung eines körperlichen 
oder l1istorisch-grammatischen (Gzuluurzzciu), moralischen (qonmxöv) 
und mystischen (rillbyfopzxdv, ävaycufzxziu) Sinnes fast in der gesammten 
Theologie aufgenommen. Die Alexandriner Didymus, Athanasius, Cyrillus 
folgten Origenes hier ganz, nur die antiochenische Schule in ihrer 
trocken-verstandesmässigen Richtung bevorzugte ausschliesslich die historisch- 
grammatische Auslegung. Im Abendland zeigt sich Allegorie und Mystik 
schon bei Hilarius (T 366) und Ambrosius (1- 397) vorwiegend; Hiero- 
nymus betont angeblich mehr den grammatischen Sinn, aber in Wirklichkeit 
befolgt auch er den dreifachen Schriftsinn, den er auch ausdrücklich be- 
fürwortet 6, während er die einfache Auslegung als jüdisch tadelt und in der 
pneumatischen erst tieferes Verständniss iindet 7. Noch mehr als er ist 
Au gustinus der Allegorie ergeben. Er will zwar den Wortsinn als Grund- 
lage gelten lassen 8, unterscheidet dann aber auch einen dreifachen Sinn: 
den eigentlichen Wortsinn (dict-um propriunz), den uneigentlichen (dictmn 
figuratunv) und den Nachsinn, d. i. den mystischen (factulm jiguratiznn) 9. Das 
Ansehen dieser beiden Kirchenlehrer entschied für die Exegese des Mittel- 
alters, welche sich bis zum 16. Jahrhundert in völliger Abhängigkeit von den 
Vätern, namentlich den beiden genannten, bewegt und in der die Unter- 
scheidung des drei- bezw. vierfachen Sinnes eine allgemeine 10, bekanntlich 
auch von Dantell bezeugte Geltung behielt. 
Das war die Entwicklung der allegoristischen Exegese der ersten drei- 
zehn Jahrhunderte. Wir sehen, wie ihr Ursprung bis auf die Tage der Apostel 
selbst hinaufreicht. Nichts ist falscher als die völlig willkürliche Behauptung, 
die Allegoristik sei erst seit Hieronymus und Augustinus im Abendland be- 
kannt geworden. Man muss von der Litteratur des 2. und 3. Jahrhunderts 
nichts kennen, man muss keine Ahnung haben von dem lebhaften Verkehr, 
der in jener Zeit zwischen Alexandrien und Rom stattfand, um derartige 
Behauptungen vorzutragen. 
1 Strom. X (ed. SYLB.) 575. 
2 Ibid. VI 806. 
3 Ibid. V 659. 
4 Ibid. I 426. 
5 Oma. Homil. V in Levit. o. 5; De princip. 
IV n. 11. 15. 16. 
6 HIERON. Epist. LXIV o. 20. 9. 
7 Ibid. n. 1: ,Auferetur velamen, occidens 
littera moritur, viviücans Spiritus suscitaturf 
8 Serm. II ad popul. de sent. Abr. n. 7. 
9 Serm. LXXXIX ad popul. de verb. 
evangel. n. 4. 
10 THOM. AQ. Sum. theol. 1, q. 1, a. 10. 
11 DANTE Convit. I 1; II 13 etc.
	        
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