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Viertes Capitel.
Die Mosaiken.
und in allen Einzelheiten, ausstudiren wird man es nicht, und ganz gewiss
immer wieder zu der reinen Bewunderung zurückkehren, welche Goethe für das
Bild in Anspruch nahm.
Es leuchtet nun wohl ein, dass dieses Gemälde geeignet ist, uns von der
antiken Historienmalerei den höchsten Begriff zu geben, und dass, da es das
einzige auf uns gekommene von hundcrten ist, es nicht zu viel gesagt war,
wenn oben behauptet wurde, von diesem Bilde datire eine neue Periode in
unserer Kenntniss der alten Malerei. Sehr natürlich und gerechtfertigt er-
scheint der Wunsch, den Urheber dieser Composition zu kennen, doch wird
er sich schwerlich erfüllen lassen, da die Perserschlachten Alexanders ein
häuiiger Gegenstand der Malerei waren, ohne dass wir doch über die ver-
schiedenen, sie darstellenden Gemälde hinlänglich Genaues erfahren, um eine
Zurückfiihrung der vorliegenden Composition auf ein bestimmtes Vorbild mit
Sicherheit vornehmen zu können. Allerdings handelt es sich hier nicht um
irgend eine, sondern um die Schlacht bei Issos und das ist der hauptsächlichste
Grund, warum von mehren Seiten und so auch in den früheren Auflagen dieses
Buches auf die Frage nach dem Urheber des Vorbildes der pompejanisrehen
rllexanderschlacht mit dem Namen nicht eines Malers, sondern einer Malerin,
Hclena, Timons Tochter aus Aegypten (Alexandria), geantwortet worden ist.
Denn von ihr wird uns eine S eh l ach t b ei I ss o s ausdrücklich bezeugt, welche
durch Vespasian nach Rom in den Friedenstempel versetzt worden sein soll. Die
Möglichkeit, dass mit dieser Antwort das Richtige getroffen sei, lässt sich nicht
bestreiten. Denn wenn sich unser Gefühl dagegen sträubt, einer Frau dies
gewaltige Bild, diese Stärke in der Thiermalerei, und besonders in der höchsten
Hitze des Kampfes zuzutrauen, so will das nicht eben viel sagen und Welcker
hat gegen diesen Einwurf ohne Zweifel mit Recht bemerkt : nwie die Geschichte
nicht wenige Frauen vom Geist der Deborah und Telesilla kennt, so weist sie
auch seltene Malerinnen nach, die den Neid der ersten Maler ihrer Zeit er-
wecktenai Auch der Umstand, dass die Notiz über die Schlacht bei Issos von
Helena aus einem sehr wenig zuverlässigen Autor (Ptolemaeus Hephaestion)
fließt, kann nicht als entscheidend gelten, da die Nachricht an sich nichts
Unmögliches oder schlechthin Verdächtiges enthält. Wenn man jedoch zu
Gunsten derselben darauf Gewicht gelegt hat, wie das früher auch an diesem
Orte gesehehn ist, dass es besonders nahe liegen mochte, ein von Vespasian
nach Rom versetztes, also damals besonders berühmtes Bild in Pompeji in
Mosaik zu copiren, so muss dies jetzt, nachdem wir nicht mehr zweifeln, dass
das Mosaik mit der Erbauung der Uasa de! Fauna gleichzeitig, also viel älter
ist, als die Periode Vespasians , durchaus hinfällig erscheinen. Und wenn
ferner der Umstand, dass die Borde des Gemäldes zwischen den Säulen der
Exedra (s. S. 351 f), welche einen Fluss mit Hippopotarnus, Krokodil, Ichneu-
mon, Ibissen, kurz den Nil darstellt (Mus. Borb. VIII, 45), der zu dem Gegen-
stande gar nicht PaSSt, als eine Anspielung auf die Heimath der Künstlerin,
Aegyptell, aufgefasst werden ist, so wurde dabei übersehn, dass sich aegyptische
Motive auch sonst in den Mosaiken der Casa del Fauna wiederfinden, zu denen
auch die S. 350 erwähnte, vortrefflich gebildete Katze als ein damals in Italien
noch nicht eingebürgertes Thier gehört, und dass mit der Technik des Mosaiks