Charakter der pompejaner Bilder.
Das Malerische.
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Compositionsprincip, wenn man nur wirklich weiß, um was es sich bei diesem
handelt, schwer würde nachweisen können. Die reliefartige Composition
aber vollends kann man höchstens in dem halbwegs archaisirenden Iphigenien-
opfer Fig. 314 finden; aber auch mit diesem müsste n1a11 größere Veränderungen
vornehmen, als gemeinhin bis in die neuste Zeit geglaubt wird, um es als ein
gutes Relief zu componiren. Das was man das plastische Compositionsprincip
der pompejanischen Malereien genannt hat, besteht aber außer in der schon
oben charakterisirten Behandlung von Lieht und Schatten in nichts Anderem
als in der großen Klarheit und Einfachheit der Compositionen, welche wahr-
haftig kein Mangel und keine Schwäche, sondern ein großer Vorzug vor der
Verworrenheit und Unklarheit vieler modernen Compositionen ist. Wenn
ferner die Figuren in Haltung und Bewegung, im Nackten, wie in der Ge-
wandung, abgesehn von dem seines Ortes erwähnten Mehr oder WVeniger der
verschiedenen Stilarten, im Allgemeinen gut gezeichnet und wirkungsvoll
modellirt sind, so würde man das unmalerisch nur dann nennen können, wenn
man behaupten wollte, der rechte Triumph der Farbe müsse mit nachlässiger
Zeichnung und Modellirung verbunden sein, was angesichts der großen Colo-
risten der Renaissance schwer durchzuführen sein möchte. Allerdings sind in
den pompejaner Bildern gehäufte und unnöthige Verkürzungen mit feinem
Takt und großer Geschicklichkeit vermieden, aber unmalerisch würde man
das doch wiederum nicht nennen dürfen, da trotzdem keine Stellung und Be-
wegung zu kühn erscheint und ihre Mannigfaltigkeit den höchsten Grad er-
reicht. Wie sehr in der That die alten Maler Pompejis sich des Vorzugs
malerischer Darstellung gegen die plastische in der Composition der Be-
wegungen bewusst waren, das vermögen den Denkenden allein schon die
schwebenden Figuren und Gruppen zu lehren, welche plastisch eben so un-
möglich wären, wie sie nur einer Malerei möglich waren, die nicht durch die
Ängstlichkeit realistischer Motivirung, wie unsere moderne, eingeengt war.
Diese Tänzerinnen, diese Bakchantinnen , diese Kindergestalten schweben
uns entgegen oder an uns vorbei aus dem einfarbigen Grunde der Wand, diese
Satyrn oder Bakchanten umarmen die schönen, üppigen Genossinnen, tragen
sie, schwingen sie empor, diese Kentauren galoppiren dahin, sei es gemächlich
eine anmuthige Bakchantin auf dem Rücken wiegend, sei es von ihr zu
rascherem Laufe gespornt, sei es mit ihr musieirend; aber nicht mit An-
strengung vom Boden emporspringend, nicht von Flügeln oder von einer
kümmerlich verstandesmäßig hinzugethanen Wolke unterstützt: sie schweben
wie von innerem Schwunge getragen, als hätte die Bewegung und Leidenschaft
des Gemüthes die Schwere des Körpers überwunden, als höbe und schwänge
sie die unendliche Lust des Daseins. Und doch sind sie nicht Schatten- und
Nebelbilder, doch erscheinen sie im vollen Farbenglanze des Lebens, und doch
macht eben dieses pulsirende und glühende Leben in den schönen von leicht-
iiatternden Gewändern umrahmten Körpern uns dieselben glaublich und be-
greiflich, ohne dass wir nach den materiellen Bedingungen fragen. Diese
Compositionen sind malerisch im eigentlichsten Sinne des Wortes. Und nicht
minder malerisch sind die größeren, gedrängten und vielfach bewegten Gruppen
wie in der Wegfuhrung der Briseis oder in Aehilleusl Entdeckung auf Skyros