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Drittes Capitel.
Die Malerei.
pompejanischen Gemälde stehn, und welche diese Originale gewesen sein
mögen, das ist eine der interessantesten Fragen, auf welche jedoch nur eine
im Allgemeinen sich haltende und im Besondern sehr unvollständige Antwort
möglich ist. Denn, so auffallend dies auf den ersten Blick erscheinen mag,
nur für ganz vereinzelte Bilder ist es möglich, bestimmte Vorbilder und das
Verhältniss zu diesen Vorbildern als Copie und freie Nachbildung mit größerer
oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu vermuthen 255). Am meisten Überein-
stimmung herrscht, und zwar mit Recht, in der Annahme, dass die in drei
Wiederholungen (Hlbg. N0. 1262-64 ; das neuerdings gefundene Bild: Sogl.
N0. 555 ist ganz verschieden) vorhandene Darstellung der auf den Mord ihrer
Kinder sinnenden Medea auf ein litterarisch überliefertes Meisterwerk, die
Medea des Timomachos von Byzanz zurückgehe. In dem wohl erhaltenen
pompejaner Exemplar aus der Oasa dei Dioscmvl (1262, oben S. 340), von
welchem das zweite im Macellum (1263, oben S. 126) eine weniger gut er-
haltene Replik zu sein scheint, besitzen wir die ganze Composition, rechts
Medea, links die auf einer viereckigen Basis in aller Unbefangenheit spielen-
den, Von dem weißbärtigen Paedagogen überwachten Knaben. Von dem
herculaner Exemplare (1264) ist nur Medea erhalten. Denn die Ansicht, dass
dies Bild und ebenso das Original des Timomachos auf die Figur der Medea
beschränkt gewesen sei, ist auf's bündigste widerlegt. Die Medea dieses
dritten Exemplares aber, Welche Fig. 313 vergegenwär-
l ä tigt, ist, so genau sie im Übrigen mit derjenigen des pom-
( pejaner Bildes in Zeichnung und Farbe übereinstimmt,
X „ vor dieser nicht allein durch einen lebhafter pathctischen
j l, i? Ausdruck des Gesichtes ausgezeichnet, sondern unter-
_ 2- f- l scheidet sich von ihr auch in bedeutsamer Weise in der
' lf Haltung der Hände. Die pompejaner Medea nämlich hat
das in der Scheide steckende Schwert in der Linken und
U legt die Rechte an den Griff, als wolle sie eben die Mord-
) waife ziehn; die herculanische dagegen hält die Hände
( (n i, ( (l gefaltet und presst, w1e 1n tiefster, aber verhaltener ge-
in!) Rsgl) (i) miithlicher Erregung die Spitzen der beiden Daumen
l) gegen einander, während das Schwert in der Scheide mit
v X dem Griffe zwischen ihren Händen ruht und an ihren
XVÄX (I) linken Arm gelehnt ist, also nicht zur unmittelbar fol-
I "Hßluw ) genden That bereit gehalten wird. Es kann nun kaum
Z1" einem Zweifel unterliegen, dass dies letztere Motiv dem
"Timgnäachägnaeh Originale des Timomachos entspricht, nicht allein, weil als
dessen Hauptvorzug der Ausdruck des Seeleukampfes der
Medea hervorgehoben wird, der in dem herculaner Bilde weit mehr zur Geltung
kommt; als in den pompejanern, und weil das Motiv der verschränkten Hände
Weit besser Z1! der gesammten Haltung der Gestalt passt, sondern auch weil die
Anwesenheit des Pa-ßdag0gen jeden Gedanken an die unmittelbar bevor-
stehende That der grausigen Mutter ausschließt, auf welche doch das Motiv
(188 Zißllellwonellß des Schwertes hinweist. Man sieht also aus der Ver-
gleichung der beiden Wiederholungen, dass jedenfalls in einer derselben