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Drittes Capitel.
Die Malerei.
deren erstere ihren Hauptcharakter in ihrerMonumentalität, in der Großartig-
keit ihrer, ganze YVändc in öffentlichen Gebäuden bedeckenden Compositionen
hatten, während die Vorzüge der letzteren hauptsächlich in der Vortrefflichkeit
ihrer technischen Ausführung, sei es in Tempera- sei es in enkaustischen Farben
bestanden. Nun aber sind die pompejanisehen Gemälde Weder das Eine noch
das Andere , Weder Wandgemälde, welche auf einen großen, monumentalen
Charakter Anspruch erheben könnten, noch auch mit allen den Hilfsmitteln
der verschiedenen Arten der Technik hergestellte Tafelgemälrle , sondern die-
jenigen, auf welche es hier ankommt, sind die Nachahmungen der letzteren in
einer den Originalen fremden Technik (fresco), Welche gegen die bei den
Vorbildern angewendete in mannigfaltiger Hinsicht in wesentlichem Nachtheil
und folglich eine bedeutende Zahl ihrer größten Vorzüge. im Colorit, in der
Sorgfalt der Durchbildung u. dgl. m. an und für sich wiederzugeben außer
Stande war. Es ist hiernach eine selbstverständliche Thatsache, dass die Ge-
mälde Pompejis in keiner Weise vermögen, uns die verschiedenen alten Schulen
in ihren gewaltigen Unterschieden überwiegender Zeichnung (der sikyonischen)
oder überwiegenden Colorits (der ionischen Schule), vorherrschend großartiger
und tiefsinniger Composition (der älteren attischen Meister) oder vorherrschend
vollendeter und lieblicher Formgebung (der Enkausten, des Apelles, Proto-
genes u. zu vergegenwärtigen. Die Anerkennung dieser Thatsache, deren
Hervorhebung auch deswegen nöthig war, um uns vor der Abschätzung der
antiken Malerei nach dem aus den pompejanischen Gemälden zu gewinnenden
Maßstabe zu bewahren, soll gleichwohl unsere YVerthschätzung (lieser Gemälde
nicht verringern, sondern nur bestimmen und regeln, danrit wir nicht An-
sprüche erheben, die nicht erfüllt werden können und, in diesen Ansprüchen
enttäuscht, geringer von den Schätzen der alten Stadt denken, als billig ist.
So gut wie man, eine gleich mangelhafte Überlieferung in der Plastik ange-
nommen, aus etlichen hundert Gruppen, Statuen und Reliefen aus dieser Zeit,
von etwa gleichem Werthe mit den pompejaner Malereien, freilich gewiss nicht
die ganze Ilerrlichkeit der alten Sculptur zu ermessen vermöchte, wohl aber
durch ein genaues Studium dieser Hildhanerwcrke in Beziehung auf die
(iegenstänrlc und ihre Auffassung und die Art ihrer Darstellung, in Beziehung
auf die Eigenthümlichkeit ihrer Formgebung und die Technik der Alten mehr
lernen würde, als aus allen, von keiner monumentalen Anschauung unter-
stützten, schriftlichen Nachrichten und Urteilen zusammengenommen, so
gut man erst durch die Anschauung auch nur eines halben Dutzends antiker
Statuen und Reliefe fähig wird, die Nachrichten und Urteile der Alten über-
haupt zu verstehn: so gut bilden die pompejaner Gemälde die einzige feste
Grundlage unserer Vorstellung von der Malerei der Alten überhaupt. Zeug-
nisse genug hierfür sind jene seltsamen Ansichten und Meinungen, die vor der
Entdeckung alter Bilder über die Malerei im Schwange waren, der man z. B.
entweder jede Perspective, unsinnig genug, absprach, oder der man höchstens
eine der Perspective chinesischer Bilder ähnliche zugestehn wollte ; die relief-
artig compßllirßll und in einer abstracten oder auch conventionellen Farbgebung
befangen sein sollte, und was dergleichen mehr Wal; Jetzt erscheint uns dies,
freilich ziemlich abgeschmackt, jetzt ist, wir dürfen es behaupten, ausm-