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Zweites Capitel.
Die Plastik.
Boden sitzenden und sich etwa halb gegen ihn aufrichtenden Panther be-
standen, nahe genug zu liegen und befriedigend genug zu sein scheinen mag.
Aber man darf doch nicht vergessen, dass dies vielleicht nur deswegen der Fall
ist, weil uns an ihm die Theile fehlen , welche dies bedingen oder hierdurch
in. ihrer Haltung bedingt sein würden und dass es sich auf alle Falle um nichts
als um eine bloße Vermuthung handelt. Es dürfte aber doch fraglich sein,
0b es gerechtfertigt ist, auf eine solche die Erklärung der pompejaner Bronze
zu stützen. Denn erstens ist auf der Basis dieser völlig unverletzt auf uns
gekommenen Figur nicht die geringste Spur weder von einem Panther noch
von sonst irgend einem verlorenen Gegenstands. Und wenn dem gegenüber
gesagt werden, das Thier sei in der verkleinerten Copie "weggelassen, ent-
weder weil man das Motiv auch ohne dasselbe für klar und deutlich genug
hielt, oder weil für den Panther auf der kleinen runden Basis kein Platz
war, so dürfte der erstere (irund insofern problematisch erscheinen, als
wenigstens uns das Motiv durchaus nicht klar ist: den zweiten aber wird
man in Abrede stellen dürfen, denn für einen Panther in der Größe, welche
ihm als Beiwerk zukam, ist auf der Basis reichlich Platz. Dazu kommt
aber zweitens, dass die Stellung der pompejaner Figur, die Neigung ihres
Kopfes, die Richtung ihres Blickes und die eigenthümliche Haltung der Finger
ihrer rechten Hand sich aus dem bezeichneten Motiv nicht erklären lassen.
WVenn der Gott mit seinem rechts neben ihm sitzenden Panther spielte, so
müsste nach natürlichem Motive sein Blick auf das Thier gerichtet sein, wobei
der Kopf anders gedreht und weniger geneigt sein würde. So wie die Figur
vor uns steht (und am Original oder Abguss ist dies noch klarer, als an der Ab-
bildung) geht der Blick ihres stark nach rechts geneigten und nach links ge-
weudeten Kopfes entschieden nach ihrer linken Seite, wo selbstverständlich
in keiner Wiederholung der Composition der Panther gewesen sein kann. An
der Fingerhaltung der rechten Hand aber ist das Eigenthümliehe, dass wäh-
rend die drei letzten Finger eingeschlagen sind , der Daumen und der Zeige-
finger ganz grade ausgestreckt werden, wodurch auch jeder Gedanke an
einen in dieser Hand gehaltenen Thyrsos oder dergleichen ausgeschlossen
wird. Denkt man die Figur mit einem Panther oder sonst einem Thiere spie-
lend, so würde man die Fingerhaltuug nur als den Gestus einer scherzhaften
Drohung auffassen können, wofür es an antiken Analogien fehlt. Die Stellung
des Jünglings, wenn wir von dem thatsachlich Gegebenen ausgehn, scheint
vielmehr die eines Lau sehenden zu sein. Den Schritt anhaltend steht
die reizende Gestalt vor uns, und so hat sie offenbar schon eine Weile ge-
standen, und deshalb die linke Hand leicht auf die Hüfte gestützt; das Haupt
ist mehr träumerisch als sinnend zur Seite geneigt, die rechte Hand erhoben
113011 der Richtung, wohin auch der Kopf sich neigt und woher der Ton zu
kommen scheint, auf den der Jüngling, fern von gespannter Aufmerksamkeit,
vielmehr mit einer gewissen Versunkenheit horcht, der also kein plötzlicher,
rasch vorübergehender sein kann, sondern als ein dauernder zu denken ist,
wie ein ferner Gesang. Auf diese Auffassung der Stellung ist die Ansicht ge-
gründet, die Statue stelle Narkissos dar und es sei der Ruf der Nymphe Echo,
auf welchen der schöne 'l'räu1ner lausche. Dass dieser Annahme mancherlei