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Zweites Capitel.
Die Plastik.
Zweites
Capitel.
Die
Plastik.
Es ist schon früher bemerkt worden, dass die Plastik in ihrer ganzen
Ausdehnung nicht eigentlich die Trägerin des Charakters der Kunst in Pom-
peji sei. Dennoch darf sie in diesen Betmchtungen nicht übergangen oder
vernachlässigt werden, und zwar aus mehr als einem Grunde. Erstens näm-
lich gehören ihre Werke doch iricht allein mit zu dem Ganzen dieser ver-
sunkenen kleinen Welt , sondern es finden sich unter denselben , wenn auch
nicht eben viele, so doch immerhin einige Stücke, welche als Muster in ihrer
Art eine eingehende Betrachtung erheischen und lohnen. und die allgemeinste
Aufmerksamkeit erregen würden , wenn sie auch nicht in Pompeji gefunden
wären, Stücke, welche sich, wo nicht dem Besten, das wir überhaupt von
antiker Kunst besitzen, jedenfalls dem Bessern anreihen, und welche sich
xnamentlich neben Allem, was (las wesentlich vornehmere und an plastischen
Kunstwerken ungleich reichere Ilereulaneum hat zu Tage fördrwrn lassen.
getrost sehn lassen können. Dazu kommt zweitens. dass die plastischen Monw
mente aus Pompeji uns mancherlei lehren, was uns unser übriger Antiken-
besitz entweder gar nicht oder doch nicht in der Ausdehnung und Klarheit zu
lehren im Stande ist. Das gilt schon von manchen technischen Pligenthümlireh-
keiten, wie z. B. von der Bemalung und Wßrgoldung der Statuen, welche an
den pompejaner Sculpturen vermöge der Art ihrer Erhaltung sich VüllStäJhllgßf
nachweisen lassen, als an den meisten übrigen Antiken: ganz besonders aber
tritt auch bei den plastischen Monumenten in Pompeji das lnteresse in den
Vordergrund, welches, wie schon früher hervorgehoben wurde, allem Pompe-
janischen seinen eigenthümlichen Werth verleiht, das Bekanntsein der Be-
stimmung, der Aufstellung, der Zusammengehörigkeit mit Anderem. Die
Werke der Bildhauerei nehmen in unserer modernen XVelt einen verhaltniss-
miißig so untergeordneten Platz ein, (lass es denen, welche. auf diesem Gebiete
nicht besondere Studien gemacht haben, schwer wird, sich ein richtiges Bild
von der ganz verschiedenen Stellung zu entwerfen. welche die Plastik in der
antiken Welt einnahm. Es ist uns freilich geläufig genug geworden. dass die
Alten einen überschwänglichen Reiehthum plastischer Kunstwerke besaßen.
wohl wissen wir, dass manche kleine griechische Stadt mehr Statuen aufweisen
konnte, als viele unserer Hauptstädte, dass das kaiserliche Rom neben seiner
lebenden noch eine andere Bevölkerung von Stein und Erz hatte; allein so
Wßllig wie überhaupt erweckt in diesem Falle das Anhören von abstraeten
großen Zahlen eine lebendige Vorstellung. Und wenn wir die Masse von
Scnlpturen überblicken, welche als geringe Reste dessen, was einst vorhanden
war, zu Tausenden unsere Museen füllen, so mag uns das freilich vergegen-
wärtigen, wie groß der Reichthum der Alten gewesen ist, allein nun werden
wir andererseits nicht wissen, wo wir diesen Reichthum, der ja doch im
Alterthum nicht wie bei uns in Museen zusanimengehäuft war, in der
lebendigen antiken YVelt unterbringen sollen. Freilich wird der Gelehrte hier
wohl nicht in Verlegenheit gerathen; die Bilder dessen, was an plastischen