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Erstes Capitel.
Die Architektur und das Bauhandwerk.
günstigen Begriff zu geben. Ganz besonders aber zeigt uns das ebenfalls im
Gypsabguss erhaltene Fragment einer breiten Thür aus dem Innern eines
Privathauses, von dem die vorstehende Zeichnungm?) (Fig. 265) wenigstens
eine Vorstellung geben Wird, die Arbeit der pompejaner Schreiner in sehr
vortheilhaftem Lichte.
Metalle findet man fast an allen Orten im Bau verwendet, an welchen
wir dieselben gebrauchen, und auch die Art des Gebrauchs stimmt mit der
unserigen bis auf wenige Ausnahmen, z. B. die bronzenen Thürangeln überein.
Bemerkt muss jedoch werden, dass gegen sonst bekannte Sitte des Alterthums
das Eisen in Pompeji eine über die Bronze überwiegende Verwendung fand,
und dass, was uns von Schlosserarbeit in Schlössern und Schlüsseln überliefert
ist, so sinnreich es construirt sein mag, in auffallender Weise durch Schwer-
falligkeit und selbst Rohheit gegen die meisten sonstigen Handwerkerarbeiten
in Pompeji contrastirt, was zum großen Theile damit zusammenhangt, dass
noch nicht eine einzige Schraube so wenig wie eine Feder in Pompeji
gefunden worden ist, vielmehr Alles, was an- und aufgeheftet wurde, mit
durchgetriebenen und an der Spitze umgeschlagenen Nägeln und Stiften be-
festigt erscheint 203)
Nach dieser zur Vergegenwärtigung des Wesentlichen wohl genügenden,
gedrängten Übersicht über die in Pompeji gebrauchten Baumaterialien und
die Art ihrer Verwendung ist der folgende Abschnitt bestimmt zu vergegen-
wärtigen, was die pompejaner Architekten und Baumeister in formeller und
stilistischer Beziehung geleistet haben.
Zweiter
Abschnitt.
Stil und künstlerischer Werth der Bauwerke in Pompeji.
Aus dem, was in der Einleitung über den Entwickelungsgaing der Kunst
in Pompeji im Allgemeinen und was im vorstehenden Abschnitt über die ma-
terielle Bautechnik gesagt worden ist, geht hervor, dass wir auch an die künst-
lerischen Leistungen der Architektur der verschiedenen Perioden einen sehr
verschiedenen Maßstab zu legen haben, wobei es sich indessen, da aus der Zeit
der Kalksteinquaderbauten so gut wie nichts erhalten ist, das uns über den
künstlerischen Werth ihrer Architektur unterrichten könnte, in der Haupt-
sache um den Unterschied der Blüthezeit der oskischen Cultur, der nTuffperiodea
und der römischen Periode und allenfalls innerhalb dieser um die vor- und die
nachneronisehe Zeit handelt. Diese letztere und der Wiederaufbau der Stadt
nach dem Erdbeben aber ist es, welche den Gesammteindruck wie alles Pom-
pejanischen so auch der Architektur bestimmt; es mögen daher über die archi-
tektonischen Leistungen dieser letzten Periode einige Bemerkungen voran-
stehn, denen eine Betrachtung der älteren und besseren Zeiten gegenübergestellt
werden sollen.
Bei der Beurteilung derjüngsten Bauten Pompejis wird man gut thun, die
strengeren Forderungen nicht nur der Regel und der Schule, sondern auch
eines geläuterten Geschmackes so viel wie möglich bei Seite zu lassen, womit
freilich nicht gesagt sein soll, dass wir diese Forderungen auch da schweigen