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Viertes Capitel.
im Hause des Sallust, oder auch ganz durch eine Mauer geschlossen. Seine
Bedeutung ist sicher in verschiedenen Zeiten eineverschiedene gewesen. In
den ältesten pompejanischen Hausern bildet es die Verbindung zwischen Haus
und Garten: es diente als Durchgang zu dem letztem, und mochte überdies als
kühles und luftiges Sommerzimmer benutzt werden: in der That berichtet uns
Varro, dass man im Sommer im Tablinum zu speisen pflegte. Eine ganz an-
dere Stellung erhielt es in den großen palastartigen Häusern der Tuffperiode
und der spätem Zeit. Hier liegt es auf der Grenze des privaten und des
gewissermaßen öffentlichen Theiles des Hauses: wir dürfen annehmen, dass
hier der vornehme Hausherr unter die ihn erwartenden Clienten trat, dass
hier sein eigentliches und officielles Empfangszimmer war. Am einleuchtend-
sten ist dies da, wo es hinten offen ist. Wie sehr aber dies die Regel war,
wie sehr man die Verbindung zwischen den beiden Theilen des Hauses als das
eigentliche Wesen des Tablinums betrachtete, geht daraus hervor, dass man
da, wo die Raumverhältnisse die Anlage eines Tablinums nicht gestatteten,
stets einen in der Breite ihm entsprechenden Durchgang zwischen Atrium und
Peristyl anbrachte, wie z. B. an dem nördlichen Atrium der Oasa de! Citarista
(I, 4, 25, domus L. Optaii Rapiani) und in den Häusern VI, 14, 12 und
VII, 7, 5.
Der Name tablinum oder tabulinum ist natürlich von tabula abzuleiten;
doch kennen wir damit noch nicht seine Bedeutung, da tabula Verschiedenes
bezeichnen kann. Schon die Alten waren im Zweifel über die Erklärung des
Wortes. Festus sagt, die alten Magistrate hätten hier ihre amtlichen Docu-
mente (tabulae) aufbewahrt, so dass also das Tablinum für den Einzelnen das-
jenige gewesen wäre, was das Tabularium für das Gemeinwesen war. Es ist
aber undenkbar, (lass ein alter und regelmäßiger Theil des Hauses seinen
Namen von einem Gebrauch erhalten haben sollte, der nur in sehr wenigen
Fällen stattfinden konnte. Ungleich glaublicher ist daher die Ableitung des
Namens von den Bretterverschlägen, mit denen es, wie auch in Pompeji viel-
fach nachgewiesen werden kann, gegen das Peristyl oder den Garten ge-
schlossen werden konnte. Sehr ansprechend ist endlich die neuerdings von
Nissen gegebene Erklärung, dass nämlich Tablinum ursprünglich nicht einen
Theil des Hauses selbst bezeichnete, sondern eine im Garten aufgeschlagene
Laube aus Brettern (tabulae; Varro a. a. O.: in tabulino, guod maenianum
possumus intellegere tabulisfabricatum), und dass man dann später diese Laube
als stehenden Bestandtheil dem Hause einverleibt, sie in ein vorn und hinten
offenes Sommerzimmer verwandelt, den alten Namen aber beibehalten habe 172).
Vorher war dann an dieser Stelle ein geschlossenes Zimmer, und hier stand
vermuthlich das Bett des Hausherrn.
Da das Tablinum Wohnzimmer, später Staatszimmer war, so musste es
wünschenswerth sein, noch eine zweite, namentlich für die Dienerschaft be-
stimmte Verbindung zwischen Atrium und Garten oder Peristyl zu haben.
Wir finden daher schon in den alten Kalksteinatrien Pompejis bisweilen neben
dem Tablinum einen engen Verbindungsgang, der freilich damals noch sehr
häuiig gefehlt zu haben scheint. In den Peristylhäusern der Tuffperiode wird
das Vorhandensein dieses Ganges, 12 auf dem Plan Fig. 135, zur Regel; man