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Viertes Capitel.
keit der Pläne einer Reihe von kleineren, mittleren und großen Wohnungen,
d. h. von relativ großen, denn wirklich große Häuser, wie sie in Rom die
Nobilität hatte, bietet uns Pompeji nicht, und zwar in ihrer bald durch locale,
bald durch anderweitige Verhältnisse begründeten Modification zu verstehn
suchen, haben uns vor-zuführen, was man in diesen verschiedenen Wohnungen
an Resten baulicher und decorativer Einzelheiten und an Spuren des täglichen
Lebens vorfand, und zu versuchen, nach der Anleitung dieser die Häuser in
ihrer Gesammtheit zu reconstruiren und aus den Spuren des Lebens ein Bild
desselben zu entwerfen; andererseits darf nicht versäumt werden zu u11ter-
suchen, was in dieser Verschiedenheit das Gemeinsame, was in den Variationen
und Moditicationen das Gesetz und die Norm sei. Ein solches Gemeinsame,
eine Norm und ein Gesetz aber ist wirklich vorhanden und ist durch die sorg-
fältige Erforschung der gegebenen Mannichfaltigkeit als ein Maßstab zur Be-
urteilung und als eine Leuchte der Erklärung gewonnen und festgestellt worden,
weshalb wir damit zu beginnen haben, uns diese Norm klar zu machen.
Fragen wir uns zuerst, worin wohl der durchschlagende Unterschied des
antiken Hauses und des modernen gelegen sein möge, so werden wir nach
einer ziemlich allgemein verbreiteten Anschauung zu antworten geneigt sein:
in der Ausdehnung des Grundrisses im antiken und der Beschränkung des-
selben im modernen Hause, ferner darin, dass mit dieser Ausdehnung in
der Längen- und Breitendimension des antiken Hauses eine Beschränkung in
seiner Höhe, mit der Beschränkung des Grundareals im modernen Hause eine
größere Zahl von Stockwerken verbunden ist. Diese Antwort ist in gewissem
Betracht richtig, aber in einem andern ist sie es nicht. Richtig ist die An-
schauung von der Ausdehnung des Grundareals beim antiken Hause in so
fern, als sich in demselben im Erdgeschoss eine viel größere Zahl von Räum-
lichkeiten befindet, als im modernen Hause, unrichtig aber ist diese Ansicht,
wenn von Maßvergleichung schlechthin die Rede ist. Eines der größten Häuser
Pompejis z. B., das s. g. Haus des Pansa, enthält im Erdgeschoss, Alles in
Allem gerechnet, etwa 60 verschiedene Räumlichkeiten. Um diese Zahl von
Zimmern, Kammern, Gängen u. s. w. anzulegen, gebrauchte aber der antike
Baumeister nicht mehr als 35 W. Front und gegen 65 M. Tiefe des Areals.
Fragen wir uns doch einmal, wie viele Höfe, Säle, Zimmer, Kammern,
Gänge, Vorplätze und andere Räumlichkeiten des wohnlichen Bedürfnisses
wir auf dies Areal bauen würden, und wir werden etwa den vierten bis höch-
stens den dritten Theil nennen müssen. Der Grund liegt darin, dass der Alte
sein Areal viel stärker theilte, dass er seine einzelnen Wohnräumlichkeiten im
Allgemeinen viel kleiner machte, als wir es thun können. Ein Unterschied wäre
also allerdings hierin gefunden; dass dieser aber ein durchgreifender, für das
Ganze charakteristischer sei, kann man kaum behaupten, und zugleich sehn
wir, dass es mit der bequem breiten Ausdehnung des antiken Hauses nicht so
weit her ist, wie wir gewöhnlich glauben. In einer ganzen Zahl kleiner, ja
selbst mittlerer Häuser Pompejis würden wir uns thatsächlich nicht zu bewe-
gen, nochl den nothdürftigsten modernen Hausrath unterzubringen wissen.
Auch die Annahme der mit der größern Flächenausdehnung in Verbin-
dung stehenden geringem Höhe des antiken Hauses ist nur zum Theil