Einleitung.
eine Seite des alten Lebens in seinen monumentalen Resten nicht vor un-
seren Blicken offen läge.
Freilich sind auch diese Gebäude Trümmer; theils die Verschüttung
selbst, theils die langsamer, aber unaufhaltsam wirkenden Einflüsse der Zeit
während der 1800 jährigen Bedeckung, theils endlich die Thatigkeit der
Menschen, welche, nachweisbarer Weise bald nach der Verschüttung begin-
nend, vielleicht Jahrhunderte lang eine Art von Raubbau in Pompeji getrieben
und Alles was sie brauchen und fortschleppen konnten, herausgewühlt haben;
sodann die weiterhin näher zu schildernde Art, wie die Ausgrabungen bis in
die neueren Zeiten betrieben worden sind, und endlich die aller Vorsichts-
maßregelu spottende Macht der Jahre und der atmosphärischen Einflüsse auf
die ausgegrabenen Gebäude 1), dies Alles hat uns auch von Pompeji nur Rui-
nen, in den am frühesten ausgegrabenen Theilen mehrfach recht kahle und
verfallene Ruinen übrig gelassen. Aber dennoch lassen sich diese Ruinen
im Ganzen betrachtet kaum mit irgend welchen anderen an Erhaltung ver-
gleichen, und außerdem fand man in ihnen eine solche Masse der beweg-
lichen Reste des Lebens, welches in ihnen kreiste, wie an keinem anderen
Orte der Welt. Des Erhaltenen ist mit einem Worte so viel, dass es kaum
möglich ist, dasselbe in Gedanken nicht zu ergänzen, zu verbinden, zu be-
leben, und dies Erhaltene ist nicht zerstreut, wie an anderen Orten, es steht
oder liegt (lag wenigstens bei der Auffindung) an dem Orte seiner Bestim-
mung, begrenzt, nachbarlich umgeben von Gleichartigem, nicht von unserer
modernen Welt, nicht zusammengetragen und classificirt in einem Museum.
Kein Ort der Welt ist daher geeigneter, dem Liebhaber eine Übersicht über
das antike Leben zu gewähren, als Pompeji, kein Monumentenkreis lässt sich
so leicht und völlig zum Ganzen verbinden, an keinen die Belehrung über
Zweck und Bestimmung alles Einzelnen so leicht anknüpfen, und bei keinem
Anlass ist die Gefahr der Eintönigkeit des Vortrags über die Sitten und das
WVesen einer vergangenen Zeit so gering, wie bei einer Beschreibung Pompejis.
Dies ist die eine Seite der Bedeutung, welche die alte wieder aufgegra-
bene Stadt für uns hat, man kann sie die antiquarische nennen ; eine andere
ist künstlerischer Art. Die Bauwerke Pompejis, welche, zum größten Theile
wenigstens, einer von den tiefen und durchgreifenden Principien altgriechischer
Architektonik bereits vielfach abweichenden Zeit angehören, bieten freilich
nur einen Anhaltepunkt von zweifelhaftem Werth, um den Liebhaber über
das Wesen der alten Architektur zu belehren; auch die verhältnissmäßig
wenigen Sculpturwerke Pompejis (deren Herculaneum eine ungleich bedeu-
tendere Reihe bietet) sind, obgleich sie einige vorzügliche Stücke enthalten,
Sehr wenig geeignet, einen Begriff von dem Wesen, namentlich von dem
Umfange antiker Plastik zu geben oder selbst nur zu unterstützen. Um so
wichtiger sind dagegen die Malereien, sowohl die eigentlichen wie die
Mosaiken_ Auch die Malereien Pompejis sind freilich nur geringe Vertreter
der alten Malerkunst, sie sind, selbst in ihren Vorbildern, aus sinkender
Kunstzeit wie die Mehrzahl der Bauwerke, sind nicht die Arbeiten nam-
hafter Meister selbst dieser Zeit; dennoch aber und trotz allen diesen
Mängeln sind die Gemälde von Herculaneum und Pompeji die Grundlage
unserer monumentalen Vorstellung von der antiken Malerei, da außer dem
einen oder dem andern Tafelgemälde und einigen nicht wesentlich verschie-
denen, zum Theil noch spätereirWandgemälden von der Art der pompeja-
nischen, endlich außer den Vasenbildern, die in ihrer Einfarbigkeit kaum Schat-