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Drittes Oapitel.
stellen, so konnte sie bedeutend kleiner gehalten werden: sie soll nach Vitruv
einen Halbkreis nicht überschreiten, während die griechische Orchestra einen
weit größern Kreisabschnitt darstellt. Und um zweitens eben diesen bevor-
zugten Zuschauern einen ungehinderten Blick auf die Bühne zu schaffen,
musste diese niedriger gemacht werden: nach Vitruv soll die römische Bühne
nicht über 5 Fuß (1,48 die griechische zwischen 10 und 12 Fuß 2,96--
3,55 hoch sein. Die Vorschrift in Betreff der Orehestra Findet sich in
den erhaltenen römischen Theatern insofern nicht immer befolgt, als dieselben
nicht selten mehr als einen Halbkreis umfassen. Andererseits führt die Be-
obachtung der Monumente auf zwei weitere, von Vitruv nicht erwähnte Unter-
schiede. In römischen Theatern nämlich werden die Sitze an der der Scene
zugewandten Seite durch eine der Scenawand parallele Linie abgeschnitten.
Dagegen finden wir in griechischen Theatern häufig, dass die Linien, mit
denen die beiden Flügel der Sitzreihen abschließen, nicht in einer Flucht
liegen, sondern der Art convergiren, dass ihre Verlängerungen sich in einem
in der Orchestra liegenden Punkt schneiden. Ferner scheint es, dass nach der
ältesten, rein griechischen Bauart die Sitzreihen nicht bis an das Bühnen-
gebäude verlängert wurden, sondern hier ein Zwischenraum blieb, welcher
nur durch eine von einer Thiir durchbrochene Mauer geschlossen war, so dass
der hier eintretende und abziehende Chor nicht unter einem Theil der Zu-
schauersitze hindurch zu gehen brauchte. Dagegen reichen die Sitzreihen der
römischen Theater durchaus bis an das Bühnengebäude hinan.
Theater.
Das große
Wenden wir uns nun zuerst zur Betrachtung des großen Theaters, so
drängt sich uns vor allen Dingen die Frage auf, in welcher Zeit es entstanden
sein mag, 0b zur Zeit der römischen Colonie, ob früher, als die autonome
oskische Stadtgemeinde unter dem Einfluss der griechischen Cultur stand. Es
leuchtet ein, wie wichtig diese Frage äist fiir die Beurteilung der Cultursmfe
des vorrömischen Pompejiß
Um einen vorläufigen Anhalt zu haben, halten wir uns zunächst an eine
Inschrift, welche in großen Buchstaben, in Marmor, wiederholt angebracht
war, und sich jedenfalls auf einen Bau oder Umbau bezieht. Sie lautet: M M.
Holconii Rufus et Celer cryptam tribunalia tkeatrum p(ecunz'a). Beide
Männer, namentlich aber Rufus, werden noch durch mehre im Theater gefun-
dene Inschriften gefeiert. Glücklicherweise sind wir nun im Stande, die Zeit
dieser beiden Holconier ziemlich genau festzustellen. WVir wissen nämlich
durch eine andere Inschrift, dass M. Holconius Rufus im Jahr der Stadt 752
(3f2 v. Chr.) zum vierten Mal die Würde des Duumvirn bekleidete. Da nun
eine der ihm im Theater gesetzten Inschriften ebenfalls sein viertes Duumvirat
erwähnt, so dürfen wir den Bau der Holconier kurz vor dem genannten Jahr
ansetzen. M. Holconius Celer war jünger: es geht aus anderen Inschriften
hervor, dass er erst im Todesjahr des Augustus, 14 n. Chr., zur Würde des
(luumvir guinguennalis gelangte. Vermuthlich bezieht sich auf denselben Bau
oder Umbau die Inschrift, welche in die Südwand des östlichen Flügels,