Die öffentlichen Gebäude.
Der Tempel des Juppiter.
Aber einen andern prachtvollen Anblick genießen wir mit lciblichem
Auge, ehe wir die heilige Schwelle der Cella überschreiten ; noch einmal um-
gewandt, sehen wir das Forum mit allen seinen bedeutenden Ruinen vor uns,
dann weiter hinaus die herrliche Gegend, in der über Stabiae und Castellammare
das Schloss Quisisana liegt und als Abschluss das kühne Profil des Monte S.
Angelo, der sich als mannigfaltig gestaltete Bcrgwand vor unseren Augen lang
hinstreckt und sich allmählich, für unsere Blicke bis etwa in die Gegend von
Sorrent verfolgbar, zum Meere hinabsenkt.
Jetzt betreten wir die Cella, deren Boden ringsum mit schwarzweißeru
Mosaik belegt war, während in der Mitte nur eine eigenthümlich in 0,09 M.
breite Streifen getheilte Mörtelschicht erhalten ist, welche entweder einem
feinern Mosaik oder einer Marmortäfelung als Unterlage gedient haben wird.
An beiden Seitenwänden, und zwar nur 1,04 M. von denselben entfernt,
bemerken wir zwei Reihen von acht nur theilweise erhaltenen 4,50 M.
hohen, aus Tuff gearbeiteten und mit weißem Stuck bekleideten ionischen
Säulen, welche auf ihrem Gebälk eine zweite korinthische Säulenstellung gee
tragen haben müssen, etwa 4 M. hoch, deren Capitelle gefunden sind. Dass
an den Seitenwänden in der Höhe des Zwischengebälks eine Gallerie an-
gebracht war, ist möglich; sie diente alsdann der Festigkeit und konnte
außerdem zur Aufstellung von Statuen und Weihgeschenken benutzt werden;
wie sie hätte zugänglich sein können, ist, wenigstens auf der linken Seite,
durchaus nicht ersichtlich. Die korinthischen Säulen trugen die auch hier
leicht aus Holz construirte und farbenstrahlende Felderdecke. Denn dass der
Tempel hypaethral gewesen sei, kann wegen seiner ganzen Raumanordnung
unmöglich angenommen werden. Die ganze Rückseite des breiten Mittelschiffs
wird durch einen Einbau eingenommen, welcher drei kleine, dunkele, durch
Thüren verschließbare Kammern enthält, zugleich aber zweifellos als Basis für
ein wahrscheinlich sitzendes Cultusbild, oder noch wahrscheinlicher, wie schon
oben angedeutet wurde, für mehre Cultusbilder diente. Die Ecken waren
ursprünglich als Pilaster, der obere Rand als Architrav gebildet, zwei weitere
Pilaster theilten die Vorderseite; doch ist bei einem spätern Umbau auf der
Vorderseite diese architektonische Gliederung beseitigt und dafür eine Mar-
morbekleidung angebracht worden, deren dicke Mörtelunterlage noch theil-
weise erhalten ist; ursprünglich war die ganze Basis mit Stuck bekleidet.
Durch eine hinter der eigentlichen Cella gelegene, von vorn nicht sichtbare
'l'reppe stieg man aus dem linken Seitenschiff auf die Basis, eine Einrichtung,
welche zu gottesdienstlichen Zwecken, z. B. zur Bekränzung der Götterbilder,
nothwendig war. YVas die Bestimmung der drei Kammern betrifft, so ist es
das Wahrscheinlichste, dass in ihnen gottesdienstliches Geräth aufbewahrt
wurde, z. B. der Schmuck, welcher den Götterbildern bei festlichen Gelegen-
heiten angelegt wurde. Eine dem Zugang zur Treppe entsprechende Thür am
Ende des rechten Seitenschiffs ist antik vermauert, und wir wissen nicht, wo-
hin sie führte.
In Anbetracht der Entstehungszeit des Tempels dürfen wir vermuthen,
dass die Wände der Cella einst eine Stuckdecoration ersten Stils (Nachahmung
Von Marmorbekleidung durch plastische Arbeit) trugen. Ist das richtig, so ist