Drittes Capitel.
von Menschen nicht bestimmt und, namentlich bei großen Tempeln, auch viel
zu hoch waren; dem Bedürfniss der Besucher des Tempels dienten niedere
Stufen, welche dem Eingange gegenüber in die großen eingelegt wurden.
Orientirt war der griechische Tempel der Regel nach, wenn auch nicht
ausnahmslos und keineswegs stets genau, von WVest nach Ost, d. h. sein
Tempelbild stand im Westen und sein Eingang war im Osten, was bekanntlich
bei der christlichen Kirche umgekehrt ist, wo der Eingang im Westen und der
Hauptaltar im Osten liegt. LUmgekehrt sollten die römischen (italischen)
Tempel, wie mehre Schriftsteller lehren, der Theorie nach gegen Westen
orientirt sein, so dass der vor ihnen Opfernde die aufgehende Sonne anblickte;
so lehrt noch Vitruv. Später scheint die Orientirung nach Osten Eingang
gefunden zu haben. Indess schreibt Vitruv gleichzeitig vor, dass häufig von
der normalen Orientirung abzuweichen sei aus Rücksicht auf locale Umstände,
z. B. auf die an dem Tempel vorbeiführenden Straßen. In der That lehrt eine
Durchmusterung der erhaltenen römischen Tempel, oder auch nur derer in
Pompeji, dass dieselben nach den allerverschiedensten Weltgegenden orientirt
sind. Für Pompeji scheint durchaus der Straßenzug maßgebend gewesen zu
sein; und zwar verfuhr man im Allgemeinen so, dass der an zwei Straßen
liegende Tempel mit seiner Längenaxe der einen Straße parallel oder fast
parallel zu liegen kam, während die Front von der Richtung der hier vorbei-
führenden Straße so weit abwich, als es die Schiefwinkligkeit der Straßen-
kreuzung mit sich brachte 33).
Ein wichtiger Unterschied zwischen dem griechischen und dem römischen
Tempel betrifft die Plananlage. Die griechische Tempelcella stellt ein mehr
oder Weniger langgcstrecktes Viereck dar und dies Oblongum wird in allen
Tempelformen von der kleinsten bis zur größten beibehalten. Der römische
Tempel dagegen wird ursprünglich von einem dem Quadrat sich nähernden
Rechteck eingeschlossen, dessen eine Hälfte von der Cella und dessen andere
von einer dieser vorgebauten Säulenhalle eingenommen wird. Bei diesem
Verhältniss blieb es auch dann, wenn, wie bei den meisten uns bekannten
Tempeln, die ganze Anlage mehr in die Länge gezogen wurde: in demselben
Maße wie die Vorhalle durch Vermehrung der vor den Anten stehenden Säulen
und Verlegung einer den Altar tragenden Platform wuchs, wurde auch die
Cella vertieft, doch stets so, dass die Schwelle der Eingangsthür die ganze,
nun oblong gewordene Anlage halbirte. Nur die so angelegten Heiligthümer
führten im technischen Sprachgebrauch den Namen templum, alle übrigen,
wie namentlich die Rundtempel, hießen aedes sacrae.
Ein letzter Unterschied zwischen griechischen und römischen Tempeln
betrifft den Unterbau, welcher, wie oben gesagt, bei den griechischen Tem-
peln als eine ringsumlaufende Stufenreihe behandelt wurde, während er bei
den römischen Tempehi als ein mehr oder weniger hohes Podium erscheint,
dem nur an der Frontseite eine sei es einfache, sei es doppelte Treppe vorge-
legt wurde, deren verschiedene Gestaltungen uns die pompejanischen Tempel
zeigen.
Ein WVortv muss endlich noch über die Umgebung des Tempels gesagt
werden. Da der Tempel in seiner Gesammtheit ein Heiliges, also eigentlich