Kunst
Handwerk
Japan.
Geku. In dem Allerheiligsten der Miya wird jener mystische Erz-
spiegel bewahrt, welcher als Bild der höchsten Göttin von uralter Zeit
her heilig gehalten wird. Dieser Spiegel liegt in einer Kapsel von
Hinoki-Holz auf einem niedrigen, mit einem Tuch aus weifser Seide
bedeckten Tischchen. Der brocatene Ueberzug des Spiegels Wird nie-
mals geöffnet oder erneuert; wenn er vom langen Liegen in Fetzen
zerfällt, wird ein neues Säckchen darüber gezogen, ganz wie bei den
Krönungsmänteln der deutschen Kaiser die einmal durch den Gebrauch
geweihten Stoffe, auch wenn sie schadhaft geworden, unter den darüber
genähten neuen Stoffen ehrfurchtsvoll bewahrt. wurden. Ueber das
Tischchen mit dem Spiegel hat man noch eine Art hölzernen Käfigs
mit goldenen Zierrathen gestülpt, und endlich eine auf allen Seiten
bis auf den Boden herabfallende seidene Decke darüber gehängt. Mit
dem Erblicken dieser Hüllen der Spiegelkapsel müssen die Gläubigen
sich begnügen, wenn sich ihnen die gewöhnlich verschlossenen Thüren
des Allerheiligsten bei feierlichen Anlässen öffnen.
Eigenthümlich ist den Heiligthümern des Shintö, dafs sie in der
Regel nach Ablauf einer gewissen Reihe von Jahren von Grund aus
neu aufgeführt werden. Nach japanischer Meinung geschieht dies mit
so vollkommener Genauigkeit, dafs jeder neue Tempel ein bis in alle
Einzelheiten getreues Abbild seines Vorgängers und damit zugleich
seines vielleicht vor einem Jahrtausend geschaffenen Urbildes Wäre.
In der baulichen Praxis ist eine derartige Verewigung eines Bauwerkes
durch vielfachen Abbruch und Neubau aber einfach unmöglich. Beim
besten Willen werden die Werkmeister bei jeder Wiederholung Ab-
weichungen nicht vermeiden können. Wieweit daher die heutigen
Shintö-Tempel einen sicheren Schlufs auf die alte Baukunst der Japaner
gestatten, mufs dahin gestellt bleiben, bis von jener Theorie unabhän-
gige Kunstforscher an Ort und Stelle Vergleiche angestellt haben
werden. Gewifs ist, dafs die neuzeitige Lehre vom reinen Shintö nicht
ohne Rückschlag auf die in neuerer Zeit vorgenommenen Neubauten
alter Tempel bleiben konnte. Wo sie mit den Rechten einer Staats-
Religion sich buddhistischer Tempel bemächtigen konnte, ist sie oft
rücksichtslos genug mit denselben verfahren und hat die gesammten
buddhistischen Zuthaten, Götterbilder, Glockenthürme, Büchereien für
die Aufbewahrung der heiligen Schriften beseitigt. Aus dieser ge-
waltsamen "Purification" vieler buddhistischen Heiligthümer sind viel-
fach nur die ex-voto-Bilder gerettet worden, oft Werke der berühm-
testen Maler, durch deren Ansammlung viele alte Gotteshäuser zu
wahren volksthümlichen Museen geworden waren. In anderen Fällen
hat die Einziehung der Einkünfte, aus denen früher die Unterhaltung
der Tempel bestritten wurde, diese zu langsamem Verfall verurtheilt.