Volltext: Grammatik der Ornamente

AEGYPTISCHE 
ORNAMENTE. 
Um im ägyptischen Schaft, so oft er rund war, die Idee der dreieckigen Gestalt des Papyrus beizube- 
halten, versah man ihn mit drei erhabenen Linien, die dessen Umfang in drei gleiche Theile absonderten; 
wenn aber die Säule aus dem Vereine von vier oder acht miteinander verbundenen Schäften gebildet wurde, 
so wurde ein jeder derselben an der Aussenseite mit einer scharfen Kante versehen, die zum selben Zwecke 
diente. Das Krongesims ägyptischer Gebäude war mit Federn verziert, die, wie es scheint, das Sinnbild der 
Oberherrschaft waren, während im Mittelpunkte eine geüügelte Erdkugel sich befand, das Sinnbild der 
Göttlichkeit. 
Die zweite Art der ägyptischen Ornamente entsteht aus der conventionellen, an den Wänden der Tempel 
und der Grabmäler angebrachten Darstellung wirklicher, dem Leben entnommener Gegenstände; und auch 
hier in der Vergegenwärtigung der Opfergaben, den Göttern dargebracht, in der Darstellung der Artikel zum 
alltäglichen Gebrauch, ebenso wie in den Malereien häuslicher Scenen, war jede Blume, jeder Gegenstand 
nicht als eine Wirklichkeit, sondern als eine rein ideale Darstellung abgebildet. Das Ganze diente zugleich 
als Erinnerung einer Begebenheit und als architektonische Zierde, deren Effect durch die symmetrische An- 
ordnung der zur Erklärung dienenden Hieroglyphen selbst noch erhöhet wurde. N o. 4, Tafel IV. ist die Dar- 
stellung dreier Papyruspilanzen und dreier Lotosblumen, nebst zwei Knospen, die ein König als eine den 
Göttern dargebrachte Opfergabe in der Hand hält. Die Anordnung ist symmetrisch und anmuthsvoll, und 
wir sehen, dass die Aegypter in der conventionellen Darstellung des Lotos und des Papyrus instinktartig das 
Gesetz befolgten, welches sich überall in den Pflanzenblättern kund t-hut, nämlich die Strahlung der Blätter 
selbst, sowohl als die der Blattadern, die in anmuthvollen Krümmungen von dem Mutterstamm ausgeht; und 
dies Gesetz der Strahlung befolgen sie nicht nur im Zeichnen der einzelnen Blume, sondern auch in der Grup- 
pirung der verschiedenen Blumen miteinander. Dies erhellt aus N0. 4, und auch aus den Darstellungen 
der Pflanzen der Wüste, N0. 16 und 18 derselben Tafel, und N0. 13. Aus N 0. 9 und 10, Tafel V. ergeht, 
dass sie dieselbe Lehre der Strahlung von der Feder ableiteten, die ebenfalls einen Ornamentstypus bildet 
(11 und 12, Tafel  derselbe Instinkt war auch in N o. 4 und 5 thätig, wo eine der im Lande so 
zahlreichen Gattungen der Palmen als Typus dient. 
Die dritte Verzierungsart der Aegypter, die rein decorative, wie sie uns wenigstens erscheint, hat ohne 
Zweifel ihre eigenen Gesetze und Gründe der Anwendung, obwohl sie sich uns nicht so klar kund thun. 
Die Tafeln VIII., IX., X., XI., sind dieser Gattung von Ornamenten gewidmet, und wurden verschiedenen 
Malereien an Gräbern, Gewändern, Geräthen und Sarkophagen entnommen. Sie zeichnen sich alle durch 
graziöse Symmetrie und vollkommene Eintheilung aus. Die Mannichfaltigkeit, welche aus den wenigen, 
einfachen, von uns erwähnten Typen sich erzeugen lässt, ist erstaunlich. 
Tafel IX. enthält Muster von Decken, die die Reproduction von gewobenen Mustern zu sein scheinen ; 
denn, zugleich mit der conventionellen Darstellung wirklicher Gegenstände, muss, bei jedem Volke der erste 
Versuch zur Hervorbringung von Verzierungswerken, nothwendig diese Richtung nehmen. Die Nothwen- 
digkeit, Stroh oder Baumrinden zusammen zu fiechten, zur Anfertigung von Kleidungsstücken, wie auch 
zur Bedeckung ihrer rohen Wohnungen, oder des ihnen zur Lagerstätte dienenden Bodens, gab ihnen wohl 
den Gedanken ein, Stroh und Rinden von verschiedenen Farben zu gebrauchen, und die natürlichen Farben 
wichen nachher den künstlich erzeugten Farben. Auf diese Weise entstand die erste Idee, nicht nur der 
Ornarnentation, sondern auch die der geometrischen Anordnung. N o. 1-4, Tafel IX., sind von ägyptischen 
Malereien entnommen, und stellen Matten vor, worauf der König steht; während N0. 6 und 7 von Grab- 
decken genommen sind, die augenscheinlich Zelte mit Matten bedeckt vorstellen. N0. 9, 10, 12 zeigen, 
wie natürlich der griechische Mäander mit denselben Mitteln erzeugt wurde. Der allgemeine Gebrauch 
dieses Ornaments in jeder Stylart der Architektur, welches sogar in den ersten Verzierungsversuchen aller 
wilden Stämme, immer unter einer oder der andern Gestalt vorkommt, ist ein frischer Beweis, dass der 
Ursprung desselben durchgehends derselbe war.  
Das Bilden der Muster mittelst gleicher Abtheilung ähnlicher Linien, wie dies beim Weben geschieht, 
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