MAURISOHE
ORNAMENTE.
wüchse geben; doch nehmen wir den Ausdruck hier in einem beschränktem Sinne, nämlich, die allgemeinen
Linien können zwar im wahrsten Verhältniss mit der Construction fortlaufen, und doch dürften Knorren
und Höcker, oder ähnliche Auswüchse an denselben vorkommen, die,
Regeln
Construction
verletzen, doch der Schönheit höchst nachtheilig sein müssten, wenn sie nicht allmälig
allgemeinen
Linien entepriessen.
Keine Form kann
wirklich
schön,
Ebenmass
Anordnung
Linien
wirklich
vollkommen
sein, wenn keine vollkommene Ruhe daraus entsteht.
Jeder Uebergang von krummen Linien zu krummen, oder von krummen zu geraden, muss allmälig
geschehen. So wäre der Uebergang in Figur A nicht länger anmuthig, wenn der Absatz in A, im Verhältniss
j zu den Krümmungen, zu tief wäre, wie das in B der Fall ist. So
X2 KBIJ oft zwei gebogene Linien (wie hier), mittelst eines Absatzes abge-
"M" sondert werden, so müssen die so geschiedenen Linien in einer
eingebildeten Linie parallel mit einander fortlaufen am Punkte
WO sie die Tangenten zu einander bilden würden; denn sobald die eine oder die andere Linie von dieser
parallelen Richtung abweicht, wie in Figur D, so nimmt das Auge, anstatt allmälig der Krümmung hinab
zu folgen, eine auswärtige Richtung, und die Ruhe muss gestört werdenfk
Zuerst wurden die allgemeinen Formen entworfen, die nachher unterabgetheilt, und mittelst allgemeiner
Linien verziert wurden; die Zwischenräume füllte man dann mit Ornamenten aus, welche ihrerseits wieder
abgetheilt und ausgeschmückt wurden, um einer nähern Besichtigung Genüge zu leisten. Dieses Principium
fihrten die Mauren immer mit der grössten Gediegenheit durch, und der genauen Beobachtung dieses Ge-
setzes verdankt ihre Ornamentation ihre harmonische Schönheit und ihren entschiedensten Erfolg. Ihre
Hauptabtheilungen contrastiren miteinander, und balanciren sich aufs herrlichste; woraus eine vollkommene
Klarheit entsteht, indem die Details nie störend auf die allgemeine Form einwirken. Aus der Ferne
betrachtet, fallen einem die Hauptlinien zuerst ins Auge; wenn man näher tritt, werden die Details als
ergänzende Theile der Composition bemerkbar; und bei näherer Besichtigung entdeckt man fernere Details
auf der Oberfläche der Ornamente selbst.
Die Harmonie der Form besteht im
gehörigen
Gleichgewicht
Contrast
geraden,
krummen
und geneigten Linien.
Gerade wie in der Farbe keine Composition vollkommen sein kann, in der irgend eine der drei Grund-
farben fehlt, so kann auch, hinsichtlich der baulichen oder decorativen Form, keine Composition vollkommen
sein, worin irgend eine dieser drei Grundiiguren fehlt; und die Verschiedenheit so wie die Harmonie der
Composition und des Entwurfes hängt vom grössern oder mindern Hervorragen oder zurücktreten dieser
drei Formen abd"
In der Verzierung der Oberfläche würde jede Anordnung der Formen, welche, wie in Figur A, bloss aus
geraden Linien besteht, einförmig erscheinen und könnte kein
vollständiges Wohlgefallen erregen; fügt man aber andere Linien
hinzu, welche das Auge gegen die Winkel richten, wie in B, so
ist der Anblick gleich wohlgefallliger. Nun darf man nur noch
Linien hinzugeben, die eine kreisförmige Tendenz haben, wie in
C, um vollständige Harmonie zu erzeugen. In diesem Falle ist
A B c das Viereck die tonangebende Hauptform, und die winkeligen
und krummen Formen sind untergeordnet.
3' Die Griechen behandelten diese Uebergänge aufs meisterhnfteste in allen ihren Gesimsen, in denen diese Verfeinerung sich im
höchsten Grad kund thnt; dasselbe lässt Siull von den gediegenen Contouren der griechischen Vasen sagen.
1' Das treiiiichste Beispiel dieser Harmonie bieten uns die griechischen Tempel der, wo die geraden, die geneigten und die krummen
Linien im vollkommensten Verhältniss zu einander stehen. Die gothische Baukunst hat ebenfalls zahlreiche Illustrationen dieses
Principiums aufzuweisen : jede Tendenz der Linien sich in derselben Richtung fortzubewegen, wird sogleich mittelst der geneigten und
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