Volltext: Meister-Holzschnitte aus vier Jahrhunderten

XXXVII MEISTERHOLZSCHNITTE XXXVIII 
 
fassung des Gegenstandes, durch die wunderliche Ver- 
mischung des Christlichen und Heidnischen und durch die 
sonderbare Zusammenstellung der Motive, Ornamente und 
lnschriften für Sitte und Geist der damaligen Zeit besonders 
charakteristisch. Es gehört der Zeit an, als Andreani 
(1586-1598) in Siena weilte, wo er die beiden grossen 
Blätter nach dem Mosaikfussboden des Domes herausgab. 
Reproduction nach dem im Besitze des Herrn Dr. A. Bret- 
tauer in Triest befindlichen Exemplar. Ein anderes Exem- 
plar im kgl. Kupferstichkabinet in Dresden. 
Tafel 157. Anonymer Holgschnilt nach Primaticcio. 
Odysseus landet bei den Cyklopen. Original im kgl. Kupfer- 
stichkabinet zu Dresden. Originalgrösse. Das Blatt ist 
identisch mit einer (Nr. 9) der Radirungen, die Theodor 
van Thulden nach den Arbeiten Primaticcids in Fontaine- 
bleau veröffentlichte. (Les travaux d'Ulisse par Theodore 
Van Thulden 1633, oder wie der in Typen gedruckte 
Titel zu der Serie vom Jahre 1640 lautet: Les travaux 
d'Ulisse desseignez par le sieur de Saint Martin, de la 
faäon qu'ils se voyent dans la maison royale de fontaine- 
bleau. Peints par le sieur Nicolas et gravez en cuivre 
par Theodore van Thulden.) Der Holzschnitt ist offenbar 
später als die Radirung und, wie es scheint, unter directer 
Benutzung dieser Vorlage entstanden, da selbst die Strich- 
lagen in den beiden Blättern sich bis in die kleinsten 
Details ähneln. S. R. Koehler (Chronik für vervielfälti- 
gende Kunst 1889 p. 71) möchte ihn für französisch 
halten und weist vermuthungsweise auf Papillon hin. 
Tafel 158. Bartolomnzeo Coriolano, der letzte gute 
Künstler in Chiaroscuro, der in Bologna um 1630-1647 
grösstentheils nach Guido Reni arbeitete. Friede und Ueber- 
ÜUSS. Helldunkel von zwei Platten, von Bart. Coriolano 
1642 nach einer Zeichnung Guido Reni's von 1627 ge- 
schnitten. Bartsch XII, p. 131, Nr. 10. Originalgrösse. 
Reproduction nach dem Exemplar d_es kgl. Kupferstich- 
kabinets zu München. 
Tafel 159, Geofroy T ory. Figura condemnationis 
reorum. Aus dem Buche tvPraxis criminis persequendi, 
elegantibus aliquot figuris-illtistrata, Joanne Millaeo auctorea, 
Paris, Simon de Colines 1541. Die 13 Illustrationen 
stellen einen Mord, die Untersuchung der Leiche, das-Ver- 
hör der Zeugen, die Festnahme der Angeklagten, ihr 
Verhör, ihre Verurtheilung und Bestrafung dar. Nur das 
7. Blatt, die Confrontation der Zeugen mit den Ange- 
klagten, ist mit Torys Zeichen versehen, doch sind alle 
Blätter von derselben Hand. Das hier reproducirte, die 
Verurtheilung der Angeklagten darstellend, ist das 12. der 
Folge. Geoffroy Tory, der, wahrscheinlich 1485 in 
Bourges geboren, einen Theil seiner jugend in Italien zu- 
brachte und von 1515 bis zu seinem Tode 1533 eine 
umfangreiche Thätigkeit, zuerst für andere Pariser Drucker, 
dann für seinen eigenen Verlag entfaltete, ist der be- 
deutendste Repräsentant des französischen Holzschnittes 
im 16. Jahrhundert, der sich gegenüber dem gleichzeitigen 
italienischen durch eine ähnliche Zierlichkeit und Eleganz 
kennzeichnet, welche den Fresken der Schule von Fon- 
tainebleau gegenüber denen der gleichzeitigen Italiener 
eigen ist. Hauptsächlich berühmt sind seine Livres d'heures, 
besonders die bei Simon de Colines 1524 erschienene 
Quartausgabe, aus der die folgende Tafel eine Probe gibt. 
Paris, Nationalbibliothek. Originalgrösse. 
Tafel 160. Geofroy Tory. Die Geburt des Kindes. 
Illustration aus den rwHeures a la louange de la Vierge 
Mariea, Paris, Simon de Colines, 1524, 4". Vgl. Bucher, 
Geschichte der technischen Künste I, p. 4 30. Paris, Natio- 
nalbibliothek. Originalgrösse. 
Tafel 161. Der Kampf des Hercules mit dem Riesen 
Antaeus, viertes Blatt einer Folge von 10 Holzschnitten, 
welche die Arbeiten des Hercules darstellen. Passavant, 
Peintregraveur I, p. 164. Nagler, Monogrammisten III, 
Nr. 341. Soweit man aus dem Monogramm schliessen 
kann, das Tory sonst nur in einigen Druckwerken der 
Jahre 1324-26 anwandte, scheint die Folge ziemlich 
gleichzeitig mit dem vorhergehenden Livre d'heure ent- 
standen zu sein. Jedes der 10 Blätter ist von einer vier- 
zeiligen französischen Strophe begleitet, welche den Gegen- 
stand erklärt. Ausser dem lothringischen Kreuz, das Tory 
immer anwandte, ist hier auch noch sein Vorname Godo- 
fredus und das sculpsit beigesetzt. Gleichwohl kann es 
sich, wie der Stil zeigt, nicht um Originalarbeiten, sondern 
nur um Copien einer älteren Folge handeln. In der That 
trägt das im Berliner Kupferstichkabinet befindliche Exemplar 
der Originalausgabe auf dem letzten Blatte die Inschrift: 
MOPCYQ. di Giovanni Andrea I7avassori detto Guadagninor. 
Tory hatte in Italien offenbar die Folge erworben und 
gab sie als eigenen Verlagsartikel neu heraus. Unsere 
Reproduction nach dem Exemplar des Pariser Kupferstich- 
kabinets. Originalgrösse. 
Tafel x62. Geofroy Tory. wFrangois I" ecoutant la 
lecture que Machault lui fait de sa traduction de Diodore 
de Sicileß Titelblatt zu dem 1535 erschienenen Buche: 
Les troys premiers livres de l'histoire de Diodore Sicilien, 
historiographe grec    translatez de latin en francoys 
par maistre Antoine Macault, notoire, secretaire et vallet 
de chambre ordinaire du roy Francoys premier. Obwohl 
das Blatt nicht bezeichnet ist, lässt sich an der Autor- 
schaft Torys wohl nicht zweifeln. Original in der Pariser 
Nationalbibliothek. Vgl. Duplessis, Histoire de la gravure, 
Paris 1880 p. 337. Originalgrösse. 
Tafel 163. Geofroy Tory. Allegorie auf den alten 
und den neuen Bund. Original in der Pariser Nationalbiblio- 
thek. Vgl. Duplessis, Histoire de la graxiure, Paris 1880. 
p. 337. Das grosse Blatt ist durch einen Baum in 2 Theile 
getheilt. Am Fusse desselben sitzt der Mensch, so auf 
die Grenzscheide der beiden Welten gesetzt. Die Aeste 
auf der Seite des alten Bundes sind dürr, während sie auf 
der Seite des neuen Bundes in frischem Grün prangen. 
In der Abtheilung links bemerkt man Adam und Eva 
im Paradies, letztere dem Adam den Apfel vorhaltend. 
Darunter steht das Wort Peche. Weiter unten sieht 
man ein Skelett auf einem Sarg mit der Unterschrift 
wLa morte. Ueber dem Paradies ist der Berg Sinai, wo 
Moses die Tafeln des Gesetzes empfängt; darunter ist das 
irdische Jerusalem, wo die Menschen von Schlangen ge- 
fressen werden. Daneben erscheint der Prophet, der dem 
Menschen den gekreuzigten Jesus zeigt. In der Abtheilung 
rechts sieht man Gott auf dem Globus mit den Worten 
Jerusalem celeste, über dem Mont Sion, auf dem eine 
Frau steht, darüber das Wort La grace. Ein Engel steigt 
mit dem Kreuz vom Himmel, weiter unten verkündet ein 
anderer den Hirten die Geburt Christi. Dann folgt das 
Osterlamm, Christus am Kreuz, Christus aus dem Grabe 
steigend; Joh. Baptista, der dem Menschen den gekreuzigten 
Christus zeigt. In beiden Abtheilungen befinden sich Ziffern, 
die auf einen jetzt fehlenden Text zu verweisen scheinen, 
rechts 8, links 9. Der Mensch ist mit einer Null bezeichnet. 
Da dieser Text fehlt, lässt sich nicht mehr constatiren, 
woher das Blatt stammt, das in der Pariser National- 
bibliothek lange dem Jean Cousin zugeschrieben war, bis 
Deveria es dem Werke Torys beifügte, dessen Zeichen 
sich links unter der Kartusche mit der Inschrift xljenseig- 
neur de Christa befindet. Wahrscheinlich war es das Titel- 
blatt einer grossen Bibel. Wie berühmt es war, geht daraus 
hervor, das es 1562 auf einer Grisailleplatte copirt wurde, 
die man dem Limusiner Emailleur Pierre Rexmond zuweist. 
Sie ist in dem Werke wMeubles et Armes du Moyen age, 
339
	        
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