XXXV MEISTERHOLZSCI-INITTE XXXV]
annehmen können, dass Tizian, wenn nicht dieselbe so
doch eine ganz entsprechende Ergänzung der Arme des
Vaters und des jüngern Sohnes vor Augen hatte, die wir
heute noch sehen. Merkwürdig ist nur die Thatsache,
dass der Maler den Kopf der den Vater beissenden Schlange
von der Hüfte, wo sie in der Gruppe ist, nach dem Kopfe
verlegt hat. Ob das eine willkürliche Veränderung Tizians
ist oder ob er wirklich eine derartige Restauration vor
Augen hatte? Bekanntlich schwanken die Angaben über
Zeit und Urheber der jetzt am Originale befindlichen Er-
gänzung. Nach der gewöhnlichen Annahme machte Michel-
angelo das erste Ergänzungsproject für den rechten Arm,
der unter Clemens VII. von Giov. Montorsoli, später noch
einmal im 17. Jahrhundert nach Fea von Cornacchini
restaurirt wurde. Im Uebrigen ist es in hohem Grade interes-
sant, mit welcher Genauigkeit sich der Meister, wenige
Freiheiten abgerechnet, an das Original gehalten hat, wie
genial namentlich die Uebertragung des Laokoontypus mit
dem geöffneten Munde (Tizian meinte sicher, er schreie!)
und den hochhinaufgezogenen Augenbrauen in den Affen-
typus ist. Einen weiteren verborgenen Sinn wird man in
der Parodie wohl nicht zu suchen, sondern dieselbe nur
als einen Spass des Künstlers aufzufassen haben.
Tafel 130a. Die neun gekrönten Märtyrer. Grosser,
aus acht Blättern zusammengesetzter Holzschnitt, von denen
jeder 53 cm hoch und 39 cm breit ist, im kgl. Kupfer-
stichkabinet zu München. Ohne Zweifel nach Tizian, ob-
wohl nirgends verzeichnet. Rechts unten: In Venezia il
Vieceri.
Tafel 151. Anonymer italienischer Holzschnitt des
16. Jahrhunderts. Die Verlobung der heiligen Katharina,
angeblich nach Rafael. Original im Kgl. Kupferstich-
cabinet zu Dresden. Originalgrösse.
Tafel 152 8: 15 3. Anonymer italienischer Holzschnitt
des 16. Jahrhunderts. Die Sündfiuth. Wem Zeichnung
und Schnitt angehören, ist unsicher. Baseggio (Nr. 3)
weist die Composition dem Tizian, den Schnitt dem Niccolö
Boldrini zu. Doch hat schon Mariette richtig bemerkt,
dass die Vereinzelung und unwirksame Zersplitterung der
Gruppen mehr an die florentinische als an die venezianische
Compositionsweise erinnere und dass deshalb vielleicht
Pontormo eher als Tizian für die Composition in Frage
komme. Der Schnitt scheint auch mehr in der derberen
und gröberen Manier des Domenico dalle Grecche als in
der sorgsamen des Boldrini ausgeführt. Die späteren Ab-
züge zeigen das Monogramm Andrea Andreani's zwischen
den Beinen eines Mannes im Wasser. Andreani war seit
1602 in Mantua als Verleger etablirt und kaufte in diesen
Jahren von überall her alte Holzstöcke auf, von denen er
wenn nöthig mit Hinznfügung neuer Tonplatten
neue Auflagen veranstaltete. Bei solchen Umarbeitungen
nahm er keinen Anstand, sein Monogramm auf die von
Anderen geschnittenen Platten zu setzen, tilgte sogar
häufig die darauf behndlichen Namen der früheren Meister,
um dafür den seinigen anzubringen. Auf den etwa 30
von Andreani frisch hergerichteten oder neu abgedruckten
alten Holzplatten, die er in den jahren 1602-4610 in
Mantua herausgab und die sämmtlich sein Monogramm
tragen, bezeichnet dieses ihn also lediglich als Verleger
und Eigenthümer. Vgl. Passavant, Peintregraveur VI,
p. 202, Nr. 2, E. Koloff in Meyer's Künstlerlexikon I,
p. 724, Nr. 1. Original h. 470 mm, br. 680 mm im
kgl. Kupferstichkabinet zu München.
Tafel 154. Andrea Andreani nach A. Casolani. Eine
fromme christliche Frau, bei Nachtzeit in ihrem Betzimmer
über einen Todtenschädel nachsinnend. Halbe Figur.
Auf dem Tische bei dem Todtenkopf brennt eine Lampe.
Im Hintergrunde rechts sieht man eine Wanduhr, links
ein dornengekröntes Cruciiix. Ein einfaches, sinniges
Blatt von grosser Zartheit. Unter dem Einfassungsstricli
das Monogramm Casolani's und die Inschrift: Alla moltc
H12 Sigi; la Sigg Eleonora Montalvi delli Augustinl
Andrea Andreani Mantovano lntaglä in Siena 1591. Hell-
dunkel von 4 Platten. Bartsch XII, p. 148, Nr. 14.
Meyer, Künstlerlexikon I, p. 723, Nr. 35. Original
h. 245 mm, br. 215 mm im kgl. Kupferstichkabinet zu
München.
Tafel 155 und 156, Andrea Andreani nach Giov.
Fortuna Fortunio. Der Triumph des Todes oder Allegorie
auf den Tod 1588. Eine Art Grabmonument in Form eines
Portals, an dessen Seitenständern Todtengcrippe als Karya-
tiden angebracht sind. Die Fussgestelle dieser Ständer zeigen
zwei Schilde mit Todtenköpfen und Inschriften: Memento
mori Memorare novissima. Unten in der Mitte, auf der
letzten Stufe, ist ein offener Sarg mit einem Leichnam.
An der Sargplatte liest man zwischen zwei Todtenschädeln
die Inschrift: Tria sunt vere, quae me faciunt flere. Diese
Inschrift ist am Sockel folgendermassen erläutert: Primum
quidem durum quia nescio me moriturum Secundum
vero plango, quia morior et nescio quando Tertium
autem Hebo, quia nescio ubi manebo. Ueber dem Grabe
liegen zwei weibliche Figuren, ganz eingehüllt, das Ge-
wand über das Gesicht herabgezogen und den Kopf vorn-
übergebeugt; auf dem Rücken der einen sitzt eine grosse
Eule; auf dem Rücken der andern bemerkt man ein
Schiffsvordertheil mit einem weiblichen Brustbilde. Den
mittelsten Theil des Monumentes füllt ein Zifferblatt oder
Rad, zwischen dessen Speichen Todtenköpfe mit der päpst-
lichen Tiara, mit Bischofsmützen, Fürstenkronen u. s. w.
wunderlich aufgepuzt sind. Darin ist eine kleine runde
Scheibe, die sich herumdrehen lässt. Der darauf in halber
Figur dargestellte Tod hält in der Hand ein Täfelchen
mit der Inschrift: Mus. Diese Silbe ergänzt jedesmal, wenn
die Scheibe sich um ihre Achse dreht, die acht in den
Speichen des Rades befindlichen Inschriften: Unde superbi
Quod est homo nisi li De limo pri Mortem vitare
nequi Cum nos terra si Terra est quasi fi Et
ideo studea Ut Deo placea. Auf dem Reifen des
Rades steht geschrieben: Statutum est omnibus hominibus
semel mori, Post hoc autem judicium. Ueber dem Rade
sind die Figuren von Adam und Eva. Das Balkengesims des
Portals enthält auf zwei Tafeln die Worte: MNHMÜNEYE
AIIOWYXEINI und auf dem Friese liest man: Iter ad
vitam. Zwei an den Capitälen der Seitenständer aufgehängte
Wappenschilder führen die Devisen Bonis bona Malis
mala. Der obere Theil des Monuments ist eine Art
Felsengrotte, an deren Schwelle die drei Parzen sitzen.
Auf dem Giebelfelde, womit die Grotte abschliesst, ist eine
Decke ausgebreitet als Unterlage für ein Wappenschild, das
einen Todtenkopf zeigt und zum Helmschmuck ein Stunden-
glas und zwei knochendürre Arme hat, welche einen Fels-
block in die l-Iöhe halten und den Aufsatz auf der Spitze
des Giebelfeldes bilden ein vom lezten Blatt des Hol-
bein'schen Todtentanzes hergenommenes Motiv. An den
schrägen Abläufen des Giebels sitzen trauernde Genien,
welche brennende Fackeln auslöschen. Neben der Grotte
und dem Giebelfelde erheben sich Pyramiden, die an der
Vorderseite mit Hieroglyphen verziert und auf der Spitze
mit kreuztragenden Todtenschädeln besetzt sind. Unten
in der Ecke links: lll" D. Petro Caballo I. C. Pontremo
Relig. D. Steph. Ordinisq. mil. Sermi M. D. Hetr. Auditori
Dign. Ich. Fortuna Fortunius lnven. Sen. MDLXXXVIII.
Im untersten Rande des Absatzes rechts das Monogramm des
Andreani. Helldunkel von 4 Platten, gr. Fol. Bartsch XII,
pag. I 3 5, N0. 13, Kolloffin Meyerfs KünstlerlexikonLp. 721.
Das Blatt ist sehr selten und durch die manierirte Auf-