Volltext: Tizian (Bd. 2)

CAP. 
XIV. 
SPERONES 
DIALOGE. 
459 
Die Gesellschaft ergötzte sich (laran, sein Gespräch über das Glück 
vorlesen zu hören, worin das Missgeschick des Kaisers vor Algier 
geschildert wird "a; und wie in Carligliones „C0rtigian0" als Mittel- 
punkt der Bewunderung Rafael dasteht, so hier Tizian. In einem 
andern dieser Gespräche, welches er Tullia, Bernardo Tasse, Nic- 
colö Gratia und Molza zusammen über das weltumfassende Thema 
„Liebe" führen lässt, spricht Tullia höchst schwungvoll von der 
Welt „als dem von der Natur geschaffenen Abbilde Gottes" und 
vergleicht sehr abschätzig mit diesem Bilde die Porträts von Malers- 
hand, welche nur die äussere Hülle des menschlichen Wesens 
zu geben vermöchten. „Ihr seid ungerecht gegen Tizian!"  
wirft ihr Tasso leidenschaftlich ein, doch sie erwiedert: "Tizian 
halte ich nicht für einen Maler, seine Erzeugnisse nicht für Kunst, 
sondern für Wunderwerke. Seine Farben müssen mit dem Safte 
jenes geheimnissvollen Krautes gemischt sein, dessen Genuss den 
Gla-ukus zum Gott machte; denn mich berühren seine Bildnisse 
wie etwas Göttliches, und wie der Himmel das Eden der mensch- 
lichen Seele ist, so hat Gott in Tizian's Farben das Paradies un- 
seres Sinnenlebens gelegt." "s 
Wenigstens fünf von den Mitgliedern des Kreises, der in den 
Dialogen des Sperone eine Rolle spielt, sind im Jahre 1545 von 
Tizian gemalt worden; ausserdem noch ein unbekannter Freund 
Priscianeses Namens Alessantlro Corvinoqw In1 Februar wurde 
das Bild Daniel Barbards an Giovio geschickt, den Karl der V. 
ständig „seinen Lügner" nannte, während Tizian ihn als Gevatter 
bezeichnete. i" Obgleich er damals weder schon zum Gesandten 
bei Eduard dem VI. noch zum Patriarchen von Aquileja ernannt 
48 s. Dialoghi del Signor Speron Sperone, Venedig 1596, S. 510 und dessen 
Dialoge d'Amox-e, Venedig, Aldus 1542, S. 24 und '25. 
49 s. den Brief Aretin's an Priscianese, Venedig Februar 1545 in den Lettere 
di M. P. Aretino III. S. 97 v. und 98. 
W Aretin an Giovio in Rom, Venedig Februar 1545 in den Lettere di M. P. 
Arctino III. S. 104. Ein Porträt des Daniele Barbara, mit der Hand auf einem 
Buche, befand sich in der Sammlung Hans van Ußel in Antwerpen (s. Ridolfi I. 
S. 259). Ihm entspricht das von W. Heller gestochene mit der Inschrift: ,.Titianns 
pinxit, Hollnr fecit 1649.  Ritratto di Nlonsig-nor della Casa"  Vorderansicht eines 
kurzhaarigen Mannes mit langem Bart, die Finger der linken Hand auf ein Buch 
legend. 
30'
	        
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