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XIV
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Bei dem Schwung der Behandlung und dem Reichthum der
Farbencomposition tritt die Vernachlässigung des Lineaments und
der Mangel an Grossheit der Auffassung, an dem das Bild leidet,
nur noch mehr hervor. Die Farbentönc sind kräftig und bestimmt
mit solider Breite vorgetragen und ein wohlthuender warmbrauner
Hauch bindet die manigfaltigen Massen, aber hier und da erinnert
die Anwendung starker, mit Asphalt hervorgebrachter Schatten-
effekte an Manieren, wie sie später bei Schiavone und 'I'int0retto
zur stehenden Eigenheit werden. Man kann sich der Vermuthung
nicht erwehren, dass Tizian in der Zeit, während er den berau-
schenden Umgang des päpstlichen Hofes genoss, im Atelier zu
Hause seine tüehtigsten Schüler fleissig für sich arbeiten liess.
Darauf wird u. a. die verhaltnissmässig unbedeutende Auffassung
des Heilandes zu schieben sein, dessen Erscheinung gewöhnlich
und dessen Haltung gedrückt ist, ferner der heftige plebejische
Geberdenausdruck etlicher Gestalten aus der Menge, die überhaupt
sehr ungünstig von der Zuschauerschaft auf dem Bilde des „Tem-
pelbesuches der Maria" absticht. Dergleichen hinderte nun aber
die Wirkung des Gemäldes beim venezianischen Publikum keines-
wegs. Man erfreute sich nicht blos an der packenden Wieder-
gabe des biblischen Stoffes, sondern zugleich auch an der Ein-
führung hervorragender Persönlichkeitendes Tages. Es war höchst
unterhaltend, Angesichts dieses Pilatus an Aretin zu denken, der
freilich selber mit dieser Auszeichnung wenig zufrieden sein
mochte; ausserdem schien es ein glücklicher Einfall, dass unter
denen, welche nach dem Blute des Heilands lechzten, der Sultan
figurierte, aber nun ging man in der Ausdeutung solcher Anspie-
lungen weit über die gebotene Grenze, und es ist einfach abge-
schmackt, wenn die Ueberlieferung den Ritter an Soliman's Seite
als Karl den V. bezeichnete oder die einmal rege gemachte Phan-
Eine Replik davon hängt in der Sakristei der Kirche S. Gaetano in Padu a. Sie
trägt eine ähnliche Inschrift wie das Original, jedoch mit der Jahrzahl 1574. Die
Farben sind sehr verdüstert. Bei dem hohen Standort des Bildes muss die Frage
nach der Urheberschaft olfen gelassen werden. Eine gleiche Darstellung von Ti-
zian kannte Boschini, Ricche Min.., Vorwort, im Palast Correr bei S. Fosca in
Venedig.