XIV.
BILDNISS
PAUL'S DES
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zu Seide und fein gestimmtem Weisswerk meisterhaft zur Geltung
gebracht. Die eine Hand des Papstes ruht auf dem Knie, die
andere auf der Armlehne, während der Körper leicht nach rechts
gedreht ist und der Kopf in voller Vorderansicht von braunem
Hintergrunde lostrittf" Auf's Ueberzeugendste hat Tizian das ipul-
sierende Leben geschildert. Greisenhaft in den ermüdeten Augen-
lidern und der feuchteniRöthe der Augenwinkel, schwach in den
hervortretenden Adern, welche die Handrücken entlang laufen
oder an den auftragenden Stellen des Gesichtes kenntlich werden,
springt es doch blitzartig aus den Augen hervor. Antlitz und
Hände sind Musterstücke von malerischer Behandlung, vollendet
in der Abwägung zwischen Licht und Schatten und harmonisch
gebrochenen Tönen. Hier und da ist mit dem dicken Ende des
Pinsels ein Kerb in die höchsten Lichter des Fleisches und des
Haares gedrückt, aber (las ist auch die einzige Spur von tech-
nischem Trick, die man entdecken kann. Seit seinem „Zins-
groschen" hatte Tizian niemals in solchem Grade wie hier sich
die höchste Feinheit der Modellierung zur Aufgabe gemacht, nie-
mals hat er mit gleichem Erfolge die Pietät des Flanderers mit
der Weichheit Bellini's und der Glatte Ant0nello's verbunden und
alle diese Eigenschaften seiner breiten Flächenbehandlung, seinem
freien Pinselzug und der durchleuchteten Schattengebung zu Nutze
gemacht. Es wäre wohl werthvoll zu wissen, ob er bei dieser
Arbeit an Michelangelo gedacht hat, welcher sie in Rom sehen
und beurtheilen konnte, oder ob ihm vielleicht das Wunderwerk
auf gleichem Gebiete, das Porträt Leo's des X. von Rafael, vor-
schwebte? Dogen hatte Tizian schon manche gemalt, auch Sena-
toren und Staatsmänner in Menge, aber noch nie einen Papst. Cle-
mens der VII. hatte ihn unbeachtet gelassen, obgleich er in Bo-
logna seiner Zeit von ihm hörte "m, umso mehr mochte ihn reizen,
19 Neapel, Museo nazionale, Correggio-Saal N0. S, lebensgrosses Kniestüek
auf Leinwand. Die Erhaltung ist vorzüglich. Aufgeführt war es in einem Inventar
aus Parma v. J. 1680 (s. Campori, Racc. di Cat. S. 233).
2" Das dem Tizian zugeschriebene Porträt Clemens des VII. in der Galerie
Bridgewater ist nicht echt, sondern gehört dem Stile nach dem Schiavone oder
Tintoretto an. _