DREIZEHNTES
CAPITEL.
Tizialfs
Heimwesen.
Noch viele Jahre nach Tizian's Niederlassung in Venedig
War der nordöstlichste Saum der Stadt spärlich angebaut. Wer
damals eine Fahrt nach der Villenstadt Murano machte, fand
beim Austritt aus dem Canalgewirr bei S. Apostoli, S. Canziano
oder S. Giovanni e Paolo Landstreifen mit grünen Feldern be-
deckt oder Sumpfstellen und Gartenanlagen. Der lange öde Quai
der heutigen Fondamenta Nuova bestand noch nicht; wer in der
Nähe von S. Maria de" Miracoli hauste, galt schon halbwegs als
Landbewohner. Für den Freund malerischer und ungestörter Häus-
lichkeit hatten die nördlichen Lagunenufer Reiz genug. Hier lag
die Wasserfläche offen und der Blick schweifte ungehindert nach
Murano hinüber; dahinter erhoben sich über dem Flachlande bei
Mestre die Hügel von Ceneda, durch deren Sattel hindurch man
die Cadoriner Alpen erblickte; hier gab es frisches Grün und
Bäume, überhaupt einen ganz andern Zustand als zwischen den
Palastwänden des grossen Canals oder in der kellerigen Dämme-
rung des Wassernetzes der Volksstadt.
Das Haus bei S. Samuele, welches Tizian in der Zeit von
1516 bis 1530 bewohnt hatte, lag im Herzen der Stadt, dicht am
grossen Canal, gleich weit vom S. Marco und vom Rialto ent-
fernt. Im Jahre 1531 gab er dieses Quartier auf und zog in den
nordöstlichen Stadttheil. Der Miethsvertrag über die Wohnung,
die noch heute existiert, war unterm 1. September abgeschlossen;
die Lage derselben wird darin bezeichnet: in der Contrada oder