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TlZlAN'S VERWANDTE.
CAP.
XXII.
sich geltend zu machen, fand er sonach keine Gelegenheit, wenn ihm
auch der Beruf nicht fehlte. Gab er Bilder als eigene Arbeiten aus
der Hand, so hatte ihm der Vater ohne Zweifel stets mit Rath und
That zur Seite gestanden. Es war z. B. allgemeine Annahme im
Jahre 1566, dass das Bild desnKampfes an der Engelsburg in Rom
welches Orazio im Wetteifer mit Tintoretto und Paolo Veronese für
den Saal des grossen Rathes im Dogenpalast gemalt hatte, „ mit Hilfe
Tizian's vollendet worden sei w Unter demselben Verhältniss sind
ohne Zweifel zahlreiche andere Gemälde entstanden und so bedauer-
lich es ist, wir vermögen die Arbeit Orazids aus der allgemeinen
Masse der Tizianischen Schulprodukte nicht mit Gewissheit auszusondern.
Der Spur seiner Hand ist nur schwer beizukommen. Wir vermuthen
dieselbenin den Fällen, wo auf Bildern tizianesken Charakters das in-
dividuelle Gepräge des Meisters nicht vorwiegt; es bleibt jedoch dann
immer noch zweifelhaft, 0b Orazio nicht von Girolamo di Tiziano,
Cesare oder Marco Vecelli unterstützt, wenn nicht gar zurückgedrängt
worden ist.
Das einzige bestimmt für Orazio in Anspruch zu nehmende Werk,
Cßlfllle die Altarklappen in S. Biagio zu Calalzo bei Cadore, enthaltend
5' Bmgm vier Vorderstiicke mit Heiligenliguren und dahinter ebensoviele Seenen
aus der evangelischen Geschichte", ist durchweg verputzt und über-
malt, aber was wir sehen, zeigt schwunglosen Formalismus, mangel-
hafte Modellierung, Unsicherheit der Licht- und Schattengebung und
Mangel an Toniibergängen. Bei alledem fehlt den Bildern ein ge-
wisses Tizianisches Aussehen nicht, doch, beweist dies eben nur, dass
Orazio, so vertraut er auch mit Tizianis Gedankenwendungen und
Vortragsmitteln war, diesen Vorzug nicht praktisch auszuniitzen ver-
mochte.
90118016 In Rom stand Orazio als Porträtmaler in Ruf. ß Wir haben ein
I" BergmTmBeweisstiick dieser Art auf den Scitentheilen des Altarbildes (Madonna
das Kind anbetend) in der Kirche zu Sorisole bei Bergamo, wo
der Doge Lorenzo Priuli mit seiner Gattin Zilia Dandola und der
Doge Girolamo Priuli mit einem andern unbekannten Verwandten
13 Vasari XI. 332 u. Lorenzi a. a. O. S. 326. Das Bild ging beim Brande des
Jahres 1577 zu Grunde.
14 Es sind Leinwandhilder, vorn die Heiligen Petrus, Paulus, Veit und An-
tonius der Abt, hinten Verkündigung, Geburt, Anbetung der Könige und Beschnei-
dung. Auf dem erstgenannten dieser letzteren vier Bilder kniet Maria rechts an
ihrem Betpult und wendet sich nach dem aus Wolken herahschwebenden Engel
um; auf der Rückseite Petrus; die "Beschneidung" besteht aus sechs Figuren,
Simeon links, Joseph rechts, zwischen beiden der schwerfrillige nackte Knabe: da-
hinter Antonius, Aehnliehe Eigenschaften haben die anderen Bilder; hinter der
Anbetung der Könige befindet sich der heilige Veit, hinter der Geburt Christi
Paulus. Die Gewänder sind fast durchweg übermalt. Zahlung für das Werk er-
hielt Orazio am 4. Februar 1566 (s. Dr. Jacobfs Handschrift).
ß Vasari xxn. 36.