CAP. XXI. UNECHTE BILDER: ÖSTREICH. 719
zweiter, grobschrötiger Mann in unklarer gelber Kleidung die Ange-
klagte am Rock, er wendet sich und zeigt den Rücken; das Weib
selbst, mit entblösstem Hals, trägt über weissem Hemd grauen Spenser,
hinter ihr tauchen zwei Männerköpfe auf, der eine rechts im Schatten
von der Luft losgesetzt, der andere links undeutlich auf dem dunklen
Vorhang sichtbar, Welcher den Gestalten Christi und des Schriftgelehrten
zur Folie dient. (Leinwand, halbe Figuren, h. 3 F. 31h Z., br. 4 F.
2 Z.) Die ganze Oomposition ist unvollendet und skizzenhaft mit
Spuren von unfertigen Verbesserungen, der Farbenauftrag dünn und
verwaschen, hat hier und da pastose Drücker; der Ansatz von Streifen
oben und unten scheint die Verkürzung an den Seiten ersetzen zu
sollen. lllancherlei Fragen drängen sich auf: war das Bild ursprüng-
lich von Tizian? Ist es jemals fertig gewesen? Ist es als fertiges
Bild beschädigt und dann nur theilweis wiederhergestellt worden?
Eine Copie der Composition in ihrer ehemaligen Gestalt, angeblich
von Varotari, aber wahrscheinlich von dessen Schwester Chiara Varo-
tari, befindet sich in der Galerie zu Padua (Leinwand, h. 0,98 M.,
br. 1,50 Hier sind die Farben erhalten: Christi Kleidung ist
roth und blau und er hält den Mantel, welcher durch die Finger der
Rechten gleitet; der Ankläger tragt rothe Mütze und rothen Mantel
mit streifigem Futter, das Mieder des Weibes ist grün, der Mann
rechts hat rothes Wamms und grüne Schlitzhose; der Kopf im Hinter-
grunde links von der Angeklagten ist frei, auch ist die ganze Schulter
Christi sowie des Mannes zu ausserst rechts erhalten. Ist nun das
Paduanische Bild Copie des Wiener, so geht daraus hervor, dass
letzteres beschnitten, verputzt und wieder nachgebessert wurde. Tritt
man der Echtheitsfrage näher, so spricht Vieles gegen Tizian: die
Formen sind durchweg von minderem Adel als bei ihm und die ganze
Auffassung nicht grossartig genug; die Anordnung zeigt bei weitem
nicht seinen reifen Geschmack und auch die Ausführung macht mo-
derneren Eindruck. Vielleicht war das Wiener Bild eine Tizianlsche
Nachahmung von Varotari und erlitt später Schaden. Die Aufbesserung
scheint die Hand eines Niederländers zu verrathen, der einigermaassen
an van Dyck's Manier erinnert. Die Urheberschaft Varotarfs gewinnt
an Wahrscheinlichkeit, wenn man ähnliche Bilder desselben vergleicht,
z. B. seine Copie der "Salome" Tizian's in der Galerie zu Padua
No. 287, und den Frauenkopf im Museum zu Dresden N0. 243. Einen
Stich des Wiener Bildes gibt Teniers" Galeriewerk, auf dessen Bilde
des Gemälde-Saales Erzherzog Leopold Wilhelms (Wien, Belvedere
N0. 39) es ebenfalls abgebildet ist. Photographiert von Miethke und
Wawra.
Wien, Belvedere, Bildniss eines Mädchens von 20 Jahren
in voller Vorderansicht (Leinwand h. 5 F., br. 2 F. 4 In dunk-
lem Kleide und mit Juwelen besetztem Gürtel, um die Taille eine Boa,
in der Linken ein paar Handschdh haltend; das rothbraune Haar in
Flechten um den Kopf gelegt. Die Farbeniläehe ist in solchem Grade