Inzwischen war nun auch der Alpdruck gewichen, der auf
Tizian's öifentlicher Stellung in Venedig lastete. Im December
1538 hatte Pordenone in Ferrara einen plötzlichen Tod gefunden.
Der Dienste dieses rührigen Mannes baar liess sich die Signorie
erweichen und setzte den genügend gewitzigten Liebling der ve-
nezianischen Kunstwelt am 28. August 1539 endlich wieder in
den Genuss seines Mäklerpatentes ein. 1'
Das Porträt Bembo's als Kardinal ist uns erhalten. Es be- Rom.
findet sich in der Galerie des Palastes Barberini in Rom und uiilserlfi.
stellt den venezianischen Staatsmann zwar in hohem Alter dar,
aber man sieht ihm an, dass er seine Siebzig noch mit Leichtig-
keit trägt. Der hagere starkknochige Kop-f ist lebendig und ener-
gisch, das Fleisch warm und frisch, die ganze Gestalt markig.
Lebhaften und festen Auges blickt das dreiviertel nach links ge-
wandte Antlitz den Beschauer an, die halb zeigende, halb gesti-
culirende Hand scheint den Worten Nachdruck zu geben, die
soeben über seine Lippen geglitten sind. Die hohe Stirn ist zum
Theil durch den rothen Hut verdeckt, der wohlgepilegte weisse
Bart, weisser Kragen und Aermel heben sich von der rothen
Seide der Kardinalstracht prächtig ab. Ungeachtet des durch
Nachbesserung geschädigten kalt-dunkeln Hintergrundes tritt die
Figur trefflich hervor und die modernen Schmierereien auf Stirn
und Gesicht hindern uns kaum, dem raschen Schwung des Pinsels
zu folgen, womit die Theile aufgesetzt und aus fetter Farben-
schicht herausmodelliert sind. 45
Aber Tizian's künstlerische Stärke kommt in diesem einzigen
Stück, was aus der grossen Zahl" von Arbeiten dieser Epoche,
deren die Zeitgenossen erwähnen, übrig geblieben ist, doch nicht
zum Ausdruck; manche, von denen uns fast nichts berichtet wird,
sind weit bedeutender. So der "Engel mit Tobias" von S. Mar-
ciliano, vor allem aber die „ Darstellung Marias im Tempel" in
der Akademie zu Venedig.
44 vgl. über Pordenonds Ende der Verif. Geschichte der ital. Malerei, deutsche
Ausgabe Band VL, und über Tiziaifs Rehabilitation Lorenzi a. a. O. S. 276.
45 Rom, Galerie Barberini II. Zimmer N0. 35, Leinwand, die Figur lebens-
gross, bis zu den Ellenbogen sichtbar. Vasari XIII. 43 erwähnt das Bild.