Volltext: Tizian (Bd. 2)

CAP. 
E 
DIE PIETA. 
L89 
Felde unterhalb des Doppeladlers auf Goldgrund, und auf kleinem 
an den Schild gelehnten Bret sieht man (freilich entstellt) die 
Bildnisse des Meisters und seines Sohnes Orazio knieend vor der 
im Bilde selbst dargestellten Gruppe. U0 
S0 weit man durch die wiederholten Farbenschichten, die 
sich im Laufe der Zeit auf dem Bilde abgelagert haben, zum 
ursprünglichen Bestand hindurchdringen kann, gewahrt man eine 
Technik, die derjenigen der ,Geisselung Christi" in München 
ähnelt. Der Pinselstrich, massig, breit und fest wie er ist, zeugt 
noch immer von unvergleichlicher Sicherheit der Hand. Es 
grenzt ans Wunder, dass ein Mann in solchen Jahren noch im 
Stande war, eine Composition auszuführen, die so vollkommen 
lIl der Linie, so erhaben in der Erfindung, so tragisch im Aus- 
druck 1st. Wir können nicht genau abgrenzen, inwieweit Tizian 
durch Palma vervollständigt ward oder inwieweit andrerseits 
Wieder Palma's Pinsel durch die späteren handwerksmassigen 
Zuthaten verwischt ist, aber selbst jahrhundertelange Vernach- 
lässigung und Veranstaltung hat die zu Grunde liegende künst- 
lerische Absicht nicht verdecken können, die auf Modellierung in 
iiberreichem Farbenkörper gerichtet War und sich zur Ausprägung 
G" Venedig, Akademie N0. 33, Leinwand h. 3,50 M., br. 3,93 M., früher in 
der aufgehobenen Kirche Sant'Ange1o; es tragt die Inschrift: 
Quod Titianus inchoatum reliquit 
Palma reverenter absolvit 
Deoq. dicavit opus. 
Nachdem es von einem Maler Namens Veglio überselnniert worden, restaurierte es 
im Jahre 1825 Sebastiano Santi, dessen Zuthat an dem langen Streifen kenntlich 
ist, welcher senkrecht an der einen Seite herab über das untere Ende und wieder 
senkrecht auf der andern Seite hinanlauft. An den Figuren ist das Meiste durch 
Uebermalung beschädigt, etliche Gewänder, besonders der blaue hflantel hlaritfs und 
der grüne Mantel Magdalenas durch darübergelegte Farben ganz verdunkelt; der 
Engel im Vordergrunde hat sowohl das ursprüngliche Lineament wie auch zum 
grossen Theil die Färbung Tizian's eingebüsst, an dem schwebenden Engel ist nur 
noch die Bewegung tizianesk. Die Inschrift auf dem Tiifelchen, welches die Porträts 
enthält, ist leider abgeputzt; am Sockel der Standfiguren steht "MOISES" und 
"HELESPONTICA"; Moses mit den herkömmlichen Hörnern legt stehend die Rechte 
auf die am Boden stehenden Gesetztafeln, in der Linken einen Stab, über seinem 
Kopfe die Inschrift: "MOYEHE IEPON"; die Sibyllc tragt ein grosses Kreuz und 
eine Dornenkrone, über ihr die Worte: ßQEOS ANOS ENEETIKII". Ein Umriss- 
stieh des Bildes befindet sich in Zanottds Pinac. Ven.; vgl. darüber auch Bosehini, 
R. M111. Sest. S. ltlarco. S. 93 und Z_anotto's Guida di Ven.
	        
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