Volltext: Tizian (Bd. 2)

CAP. XX. DIE PEST. 687 
publik herrschte seit der Schlacht von Lepanto Frieden; jetzt be- 
gann aber die Pest zu rasen und zwar forderte die Seuche noch 
mehr Opfer als im Jahre 1510. Schon 1575 hatte sie begonnen, 
im folgenden Jahre erreichte die Sterblichkeit eine unerhörte 
Ziffer und erzeugte entsetzliche Zustande. Die Furcht vor An- 
steckung, für barmherzige Seelen und pflichttreue Charaktere nur 
ein. Sporn zu grösseren Anstrengungen, rief in manchen Klassen 
die empörendste Selbstsucht und Feigheit wach. Wer die Mittel 
dazu hatte, floh aufs Festland. Die Zurückbleibenden waren nicht 
nur der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt, sondern mussten sich 
im Erkrankungsfalle bei dem Mangel an Hilfe als unrettbar ver- 
loren betrachten. Epidemische Krankheiten hatten zu jener Zeit 
überhaupt noch ganz andere Schrecken als heut zu Tage; denn 
Aberglaube und Fatalismus erschwerten die vernünftigen Maass- 
regeln. In der Ungewissheit über die Natur der Symptome „ver- 
liessen sich Kinder, Aeltern und Gatten erbarmungslos und die 
Leichen wurden ohne Begleitung nach den Lazarethen geschafft. "56 
Die Regierung versuchte Alles, was menschlicher Scharfsinn nur 
zu erdenken vermochte, um gegen das furchtbare Uebel anzu- 
kämpfen. Auf den Inseln der Lagunen wurden Hospitäler ein- 
gerichtet. Am Lazzaretto Vecchio bei Malomocco und am Lazza- 
retto Nuovo oder bei S. Giacomo di Palu zwischen Murano und 
Mazzorbo konnte man täglich grosse Ladungen von Kleidern, 
Möbeln und sonstigem Geräth aus den von der Seuche ange- 
steckten Hausern verbrennen sehen?" Aber es schien Alles 
fruchtlos; das Verderben ging seinen Weg ohne Aufenthalt, bis 
von den 190,000 Bewohnern 50,000 hinweggeraift waren. Der 
venezianische Senat gelobte, dem Erlöser eine Kirche zu bauen, 
und nun erbarmte sich der Himmel der unglückseligen Stadt. 
Die Pest erlosch plötzlich und es kehrte ein guter Gesundheits- 
zustand zurück. 5B  
Tizian war, so viel wir wissen, in seinem ganzen langen 
56 s. Sansovino, Cose notabili S. 32. 
  Oicogna, Iscriz. Ven. V. S. 495 und VI. S. 5-19. 
58 Sansovino, Cose notabili S. 32. Diese Votivkirche 
Giudecca wurde 1577 nach Palladids Plänen erbaut. 
,del Redentore" 
auf der
	        
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