CAP.
TIZIAN'S LETZTE BRIEFE 1575 U. 1575.
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der Zeit, Welche zwischen der Ablieferung und der endlichen
Prüfung dieser Liste lag, musste Tizian Wohl zu der Meinung
kommen, der König, Perez und Coello hätten seine Existenz ver-
gessen. Dies veranlasste ihn zu folgenden beiden Schreiben, den
letzten, die wir von seiner Hand besitzen; das eine wurde sechs
Monate vor seinem Tode im neun und ileunzigsten Lebensjahre
abgefasst.
Tizian an Philipp den II.
"Grossmächtigster katholischer König und Herr!
Da ich die grosse Gnade kenne, mit Welcher Ew. katholische
Majestät Befehl gab, dass eine Liste meiner zu verschiedenen
Zeiten auf Befehl Ew. Majestät gesandten "Bilder angefertigt werden
sollte, komme ich jetzt mit dem Vertrauen eines alten Dieners
und tiberreiche ein neues Memorial darüber, in der festen Hoff-
nung, dass Ew. Majestät königliche und erhabene Liberalitat
Wünschen würde, Dero Anweisungen zu meinem Nutzen aus-
geführt zu sehen, damit ich mit freudigerem Herzen den anderen
dem Rilhme Ew. Majestät gewidmeten Werken obliege, Welche
ich jetzt am Ende meiner Tage in Arbeit habe. Es herrscht
gegenwärtig in der Welt so viel Unglück, dass ich in hohem
Maasse das Bedürfniss fühle, gestützt zu werden durch die Macht
und königliche Freigebigkeit eines geheiligten Fürsten dieser
Welt, wie Ew, Katholische Majestät ist, den lange Zeit erhalten
zu wollen ich Gott bitte.
Venedig am Weihnachtstage 1575.
Ew. Majestät gehorsamster, unterthänigster
Tiziano Vecellio."
Diener
Derselbe
an
denselben.
"Ew. katholische und Königliche Majestät!
Die unendliche Huld, mit welcher Ew. katholische Majestät
durch natürliche Neigung gewohnt ist, Alle zu begnaden, die
Ew. Majestät treu gedient haben und noch dienen, ermuthigt
mich, mit dem Gegenwärtigen zu erscheinen und mich in Euer
königliches Gedächtniss zurückzurufen, in welchem, wie ich
glaube, meine alten und ergebenen Dienste mich unverändert
erhalten haben. Meine Bitte ist folgende: Zwanzig Jahre sind