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LFIZIAN UND PHILIPP DER ll.
CAP.
XVIII.
als in seiner Jugend oder selbst in den Mannesjahren, denn diese
allegorische Gestalt übertrifft an Bedeutsamkeit und Wirkung den
„Christophorus" im Dogen-Palast oder das Fresko-Bild von un-
bestimmtem Datum an der Treppe der Scala de' Giganti, Welches
innerhalb einer Lünette Maria darstellt mit dem auf dem Rücken
in ihrem Schoosse liegenden Jesusknaben, dernach ihrem Schleier
hascht, indess zu jeder Seite zwei nackte Engel beten. 38
Während des Jahres 1559 verlor Tizian seinen Bruder Fran-
cesco. Er starb in Gadore und sein Verwandter Vicenzo Vecelli
hielt ihm eine lateinische Gedächtnissrede. Ob Tizian selbst bei
dieser Gelegenheit in der Heimath gewesen ist, wird uns zwar
nicht berichtet, aber es scheint kaum glaublieh, dass er eine
solche Familienversammlung versäumt haben sollte. Wenn auch
die zahlreichen Pflichten, die ihm als Nachfolger seines Bruders
obla-gen, von Orazio wahrgenommen wurden, dessen Anwesenheit
in Oadore im Frühling 1560 verbürgt isti", so schliesst das doch
den Besuch des Alten nicht aus. Vielleicht sogar brachte er
damals das vermuthlich in diese Periode gehörige Altarbild für
die Familienkapelle der Vecelli mit, welches noch heute in der
Kirche zu Pieve di Cadore hängt. In den Greisenjahren pflegt
zwischen künstlerischen Zusagen und Erfüllungen in der Regel
ein langer Zeitraum zu liegen und es scheint durchaus nicht, als
habe Tizian den Ehrgeiz gehabt, seinem Heimathsivinkel eine
seiner besten Schöpfungen zu hinterlassen. Aber machte er auch
für eine solche Arbeit selbst keine grossen Anstrengungen, so
benutzte er zu dem Zwecke wenigstens Jemanden, der nicht
ganz unfahig war, seine Stelle zu vertreten. So entstand denn
ein Bild, welches das Verdienst besitzt, zum mindesten tizianisch
zu sein.
Venedig.
Dogen-
palast.
Pieve
di Cudore,
Kirche.
Inmitten vor grossfaltiger Draperie sitzt die Jungfrau; der
nackte Knabe liegt in ihrem Schooss und mit einer Hand ihren
" Es war ehemals ein schönes Fresko in Tizian's breiter Vortrßgsweläß, hat
aber dennaassen durch Uebermalung gelitten, dass die ursprünglichen Vorzüge fast
ganz zerstört sind.
39 s. die Urkunde vom 21. Mai 1560 im Anhang N0. XCIV;
4" vwm xm. a1 bestätigt ausdrücklich, dass Tiziun das mm gemalt habe,
kannte es aber nur vom Hörensagen.