Volltext: Tizian (Bd. 2)

XVIII. 
CAP. 
ALLEGORIE DER "WEISHEIT". 
9B 
punkt der Decke jenes Raumes ziert. Paolo Veronese, Schia- 
vone und andere junge Maler waren kurz zuvor in dem an- 
stossenden Saale thatig gewesen und Paolo hatte aus Tiziaarfs 
Händen die goldene Kette empfangen, welche ihm als beson- 
dere Auszeichnung für seine Leistungen vom Senat zuerkannt 
worden war.  
Man kann sich leicht vorstellen, dass es Tizian darum zu 
thun war, zu beweisen, wie auch er noch nichts von seiner künst- 
lerischen Fertigkeit eingebüsst hatte und er wird bei Ausführung 
jener Figur sich tüchtig in's Zeug gelegt haben. Der Erfolg 
entsprach vollkommen seiner Erwartung. Die „Weisheit" ist als Venedig, 
grosse Frauengestalt aufgefasst, die in halb liegender Stellung Bäfiliiii. 
auf einer Wolke ruht, auf welche sie sich wie auf ein Kissen 
mit dem linken Ellenbogen stützt. In ihrer linken Hand liegt 
eine grosse Rolle, die rechte greift nach einem Folianten, den 
ein befiügelter Genius darreicht. Der Kopf, im Profil gesehen, 
ist mit dem Lorbeerkranze geschmückt, das Gesicht geneigt, das 
Auge auf das Buch gerichtet. Feines Gewand fallt über den 
Busen und haftet an den stählernen Formen wie der Chiton auf 
der Brust der Parthenon-Figuren. Der über die Schulter ge- 
worfene im Winde flatternde gelbe Mantel, die grosse Draperie, 
welche in grünen Massen mit gelbem Schuss die Beine bedeckt, 
unterstützen den Eindruck gefälliger Leichtigkeit, womit die  
Gestalt auf die Wolke geworfen ist  Alles verräth Tizian's 
Beobachtung der Antike und seine Bekanntschaft mit den Decken- 
gemalden Rafaefs und Michelangelds. Man kann ein achteckiges 
Feld schlechterdings nicht geeigneter erfüllt denken wie dieses, 
und schwerlich Anmuth und Erhabenheit schöner verbunden, 
eine solche Gestalt meisterlicher verkürzt sehen. Das Spiel 
von Licht und Schatten, die Einheit von Atmosphäre und 
Farbe wirkt magisch und der breite, feste, ganz dem Zwecke 
angemessene Pinselstrich ist unübertreiiflich." Tizian zeigt in 
seinem hohen Alter mehr Geschicklichkeit für Dekorationsmalerei 
 
97 Die früheste Erwähnung dieses Bildes ünden wir in Boschinfs Ricche Min. 
Sest. S. Maroo S. 67. Zanotto, Nuovissima Guida S. 114 weist es ohne weitere 
Begründung ins Jahr 1570. Photogrnphiert ist es von Naya. 
39'
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.