600 TIZIAN uuo PHILIPP DER
CAP.
XVIII.
der Formen, noch die feine Zubereitung und Farbensubstanz des
Pariser; es ist aber das Werk eines weit erfahreneren und
geübteren Meisters, eines Mannes, der die Gesetze der Oompo-
sition mit Bewusstsein beherrscht und mit den unerschöpflichen
Wandelungen des Affektes vertraut war eines Realisten, der
jede Bewegung des Körpers und der Glieder auswendig konnte.
Weniger reich in den Tinten, minder anziehend in der Form,
Weniger edel in den Zügen sind die Figuren des Madrider
Bildes denen des Louvre-Exemplars überlegen, denn sie sind
treuer nach der Natur gebildet und an sich bedeutender. Bei
mässigerern Oolorit vertragen sie doch genauere Betrachtung und
besonders das Nackte ist Dank der zutreffenden Nüancierung mit
einer Bestimmtheit und Klarheit modelliert, welche Tonbrechungen
und Lasuren letzter Hand fast ganz unnöthig machte. Die Werke
stehen einander ähnlich gegenüber wie die tief-ernste musikalische
Weisheit eines Sebastian Bach dem perlenden Melodienreichthum
Mozarts oder der in allem Realismus mystische Rembrandt dem
glänzend chevaleresken van Dyck.
Wie wir gesehen haben, ist von der Mantuanischen „Grab-
legung" eine Copie gemacht worden; sie entstand jedoch nicht
in der Werkstatt des Meisters, die „Grablegung" von Madrid
Ward häufig Wiederholt und zwar nicht nur von spanischen und
anderen Künstlern, von denen Arbeiten in Spanien und England
reichlich vorkommen, sondern auch von Tizian selbst oder von
seinen Schülern. a" Eine dieser Wiederholungen, an welcher Tizian
3" Madrid, Museum No. 491, Leinwand h. 1,30 M., br. 1,68 M. Das Bild
weicht darin ab, dass der Heilige zuüusserst rechts ein Gewand mit schwarzem
blumigen Muster trägt, das Grab hat keinen Reliefsohmuck und die Inschrift
{ITITIANVS F." steht auf dem Steine links. Die Ausführung ist nicht von Tizians
Hand, sondern deutet auf einen Spanier wie del Mazo hin; vgl. Madruzds Katalog,
Welcher beweist, dass eine Copie dieser Grablegung sieh ehemals auf einem Altar
der Kapelle des Aloazar in Madrid befunden hat. Es ist photographiert V01! Lßllrent.
Eine zweite Copie hängt noch heute in der alten Kirche des Escurial, überhöht
von" einer Halbiigur der Madonna, die zwar für Tizian gilt, aber ebenfalls Cupie
ist. -Wir verzeichnen hier noch folgende Exemplare: Schloss Hßmilto n: freie
Abwandlung der Composition mit lebensgrossen Figuren in dämmriger Landschaft;
zu Christi Häupten zwei bärtige Männer, Magdalena ringt die Hände, die Gestalt
1m Vordergrund rechts, welche die F üsse des Tudten hält, nur bis zum Schenkel
sichtbar. Der Stil weist auf einen Nachfolger der Bassaui, aber eher auf einen