Volltext: Tizian (Bd. 2)

CAP. XVIII. PAOLO VERONESE. 
leuchtende und sogar prachtvolle Werke hervorbringen  aber 
Werke, die unvermeidlich verblassen müssen vor der gesättigten 
Tonfülle Tizian'scher Bilder. Unleugbar war dieser jetzt mehr 
und mehr in den silberigen Ton gerathen. Die graue und gilb- 
liche Grundanlage des Fleisches, durch warmes Braun gehoben, 
erinnert stärker als sonst an die durch Anwendung des Silbers zu 
erreichenden prismatischen Töne, aber diese Skala war bei ihm 
stets mit Brechungen oder Lasuren oder halbdeekenden Zu- 
sätzen verbunden, welche eine Gliederung des Ueberganges vom 
Lieht zum Schatten bildeten und gleichmässig dem Helldunkel, 
dem Glanz der Carnation, der Landschaft oder der Gewandung 
zu Statten kamen. Auf diese Weise blieb Tizian Kolorist im 
feinsten Sinne des Wortes, und selbst jetzt noch konnte Paolo 
von ihm lernen, der schon mit gutem Erfolg die Feinheiten 
früherer Werke, wie z. B. der Mantuanisehen Grablegung, der 
Madonna des Hauses Pesaro, der „Darstellung im Tempel", 
des „Ecce-H0mo" der d'Anna's und der „Vision des Glaubens" 
studiert hatte. 
Von der „Kalisto" behielt Tizian eine Wiederholung oder 
gleich grosse Copie-Skizze zurück, an welcher er möglicher Weise 
selbst einige Striche gethan hat, und diese kam in die Samm- 
lung des Erzherzogs Leopold Wilhelm nach Brüssel und von dort 
nach Wien, wo sie sich noch befindet. Ob es dieselbe ist, welche Wien. 
nach Tizian's Tode angeblich in Tint0retto's Werkstatt überging, Belvede" 
lasst sich jetzt unmöglich bestimmen. Jedenfalls enthält das 
Wiener Exemplar bemerkenswerthe Veränderungen, z. B. in der 
Figur der Kalisto, die hier nicht so erbarmungslos der Schande 
preisgegeben wird wie auf dem ehemaligen Madrider Bilde. 
Dazu kommen noch andere eingreifendere Varianten. Die nackte 
Nymphe, welche den Schleier von Kalisto's Leib hinwegzieht, 
ist durch eine bekleidete knieende ersetzt, die Figur zu Diana's 
Füssen fehlt ganz und gar; an Stelle des liegenden Hundes im 
Vordergrunde rechts ist ein Schoosshündchen getreten, Brunnen 
wie Landschaft sind ebenfalls verändert. In der Behandlung 
bleibt das Bild weit hinter dem der Sammlung Ellesmere zurück. 
Es lässt die Mitwirkung, wenn nicht ausschliesslich die Hand des
	        
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